In den Teilen eins und zwei unserer Reihe gings ja um Verlagsneugründungen im Printbereich. Ab heute schauen wir uns dagegen einige reine E-Book-Verlage an. Los gehts mit mikrotext und shelff.
Nikola Richter gründete mikrotext Anfang 2013 in Berlin. Im März 2013 erschienen schon die ersten E-Books.
Was sind Eure Programmschwerpunkte?
mikrotext konzentriert sich auf alle Formen der kurzen Lektüren, also Essay, Kurzgeschichte, Reportage, aber auch Online-Literatur, die dann für ein E-Book aufbereitet wird, etwa
Facebook-Statusmeldungen wie von Aboud Saeed - "Der klügste Mensch
im Facebook. Statusmeldungen aus Syrien" oder Blogtexte wie von Jan Kuhlbrodt
- "Das Elster-Experiment. Sieben Tage Genesis".
Wieviele Leute arbeiten im Team?
1-2 Leute: Nikola Richter (Gründung, Leitung, Programm, Lektorat, Marketing, Presse, Vertrieb, Veranstaltungen und alles, was sonst so anfällt), Andrea Nienhaus (Covergestaltung und Herstellung
ePub/PDF).
Wie findest Du Eure Autoren?
Persönliches Netzwerk, Empfehlungen von Freunden und Bekannten, Besuche von Veranstaltungen, Magazinlektüre, social-media-Kontakte, Internetrecherche.
Was macht Ihr anders als andere Verlage?
mikrotext veröffentlicht alle drei Monate zwei Ebooks zu einem Thema und stellt somit die Texte in einen größeren, zeitgenössischen Zusammenhang. Wir wollen Debatten! Themen bisher waren:
"Freiheit im Netz", etwa mit einem Essay von Alexander Kluge zum digitalen Kulturkonsum "Die Entsprechung einer Oase" oder "Überwachung" mit einer
Liebesnovelle von Isabel Fargo Cole aus dem Aktivistenmilieu, die irgendwann im
21. Jahrhundert spielt, und einer persönlichen Reportage von Sebastian Christ, der als Journalist u.a. in den USA und in Afghanistan gearbeitet hat und nach der NSA-Affäre sechs Geheimdiensten
Briefe geschrieben hat, um herauszufinden, ob Akten über ihn vorlegen: so anschaulich und verständlich habe ich nirgendwo über die NSA-Folgen gelesen.
Warum nur E-Books? Was ist hier Eure Strategie?
Das E-Book hat so viele Vorteile für einen kleinen neuen Verlag: Der finanzielle Aufwand ist erstmal geringer, die Reichweite größer (über die vielen E-Book-Shopplattformen, auch unabhängige wie
minimore.de oder beam), die Lagerung platzsparender (ein Ordner reicht) und die digitale Literaturbranche ist erst dabei, sich zu finden, das
heißt, es macht Spaß, sie mitzugestalten, eigene Strukturen zu finden, Strategien auszuprobieren, Neues zu lernen. Wir haben aber auch einen Titel gedruckt im Angebot, die Texte von Aboud Saeed,
der jetzt schon in der zweiten kleinen Auflage vorliegt. Im Impressum steht aber "Zuerst erschienen als E-Book": Das E-Book kann also auch ein Testballon für ein gedrucktes Buch sein. Die
Strategie ist: Qualität verlegen, Autoren sichtbar machen, den Verlag bekannt machen - und immer mehr Leser und Käufer gewinnen. Denn E-Books sind schön und leicht und praktisch und günstig und
dauerhaft und - weil sie nach nichts riechen - unaufdringlich perfekt für jede Lebenslage ob Reise, Bett, Spielplatz oder Wartezimmer.
Aktuelle Neuerscheinungen:
Im Frühjahr 2014 beschäftigt sich mikrotext mit dem Literaturbetrieb, beziehungsweise mit denen, die außerhalb stehen: "Außer Betrieb" war das Thema. Dazu erschien die Anthologie "Irgendwas mit Schreiben. Diplomautoren im Beruf", herausgegeben von Jan
Fischer, mit Texten von Autorinnen und Autoren, die auf deutschen Schreibschulen waren, aber nicht hauptberuflich als Autoren von im Feuilleton gefeierten Romanen leben. Darin auch der Essay von
Florian Kessler, der nach einem Vorabdruck in der ZEIT im Frühjahr die so genannte Literaturdebatte heraufbeschwört hat, der aber ursprünglich für die mikrotext-Anthologie verfasst wurde.
Und die großartig-schrägen Facebookpostings der österreichischen Kultautorin Stefanie Sargnagel, die bei Daniel Richter in Wien Bildende Kunst studiert und nebenbei im Callcenter arbeitet: "In der Zukunft sind wir alle tot. Neue Callcenter-Monologe".
Ebenfalls frisch in Berlin gegründet ist der Digitalverlag shelff. Fabian Thomas, der bei shelff vorwiegend für Herstellung, Social Media und Vertrieb, aber auch fürs Programm zuständig ist, hat unsere Fragen beantwortet:
Was sind Eure Programmschwerpunkte?
shelf bedeutet ursprünglich: Bücherregal. Unser Verlag bildet nach diesem Prinzip ein Rahmung für ganz unterschiedliche Projekte: Wir hatten bereits einen journalistischen Bericht aus der Türkei von Mely Kiyak, sehr literarische Erzählungen der als Autorin bisher unbekannten
Katharina Enzensberger, und gerade veröffentlichen wir einen fünfteiligen Verschwörungsroman von Johannes Thumfart unter dem
Titel DER KATECHON.
Wieviele Leute arbeiten im Team?
Wir sind zu viert: Wolfgang Farkas und Andreas Hofbauer, Jörg Reichardt und Fabian Thomas.
Wie findet Ihr Eure Autoren?
Wir sind sehr offen, aber schauen auch, was wir gerade interessant finden und was zu shelff passen könnte. Jeder von uns bewegt sich außerdem natürlich durch seine Arbeit als Lektor, Übersetzer,
Fotograf oder Redakteur ohnehin schon in Bereichen, wo viele Buchideen zu finden sind.
Was macht Ihr anders als andere Verlage?
Wir verlassen bekannte Wege und sind experimentierfreudig. Wir haben ein Editor-Modell eingeführt: Da jeder von uns ganz unterschiedlich arbeitet und verschiedene Anknüpfungspunkte zu Autoren
hat, kann auch jeder zum Editor werden und sein Buchprojekt bei shelff einbringen. Wir probieren neue Veröffentlichungsmethoden aus, wie bei DER KATECHON, das gerade als fünfteiliger
Fortsetzungsroman erscheint. Für diesen Roman arbeiten wir darüber hinaus auch mit einem Musiker zusammen, der für jede neue Lieferung einen eigenen Soundtrack komponiert.
Warum nur E-Books? Was ist hier Eure Strategie?
Wir können vieles ausprobieren, das wir als klassischer Printverlag nicht machen könnten, weil es viel zu riskant wäre. Wir nehmen das Format ernst und sehen es nicht als
Zweitverwertungs-Möglichkeit für "richtige" Bücher (was immer das sein mag). Und wir glauben, dass die Entwicklung da gerade erst am Anfang steht.
Aktuelle Neuerscheinungen:
Gerade erscheint der dritte Teil von DER KATECHON, er spielt in Tallinn und setzt die Geschichte des erfolglosen Akademikers Tim Zühlke fort, der nach mehreren Misserfolgen, wieder zu Geld zu
kommen, für die Baltische Allgemeine Zeitung eine Reportage über Seltene Erden schreiben soll. Gleichzeitig verstrickt er sich aber in einem Netz düsterer konservativ-revolutionärer Mächte, die
nichts Gutes im Schilde führen. Zuvor war er als Live-Rollenspieler im Fränkischen unterwegs, im ersten Teil lernen wir ihn noch als frustrierten Callcenter-Mitarbeiter kennen, der in seiner
Freizeit piratisierte E-Books recherchiert. Eine spannende, sehr politische und sehr aktuelle Geschichte!
Mehr lesen:
Neue Verlage - Teil 1 (Print):
kladdebuchverlag und Fuchs & Fuchs Verlag
Neue Verlage - Teil 2 (Print): Guggolz
Verlag und Verlag für Kurzes
Neue Verlage - Teil 4 (E-Books): CulturBooks und autorenedition sarabande
Neue Verlage - Teil 5 (E-Books): Frohmann Verlag