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Der spanische Hörbuchmarkt: „Komm, setz Dich zu mir und ich erzähle Dir eine Geschichte"

Interview mit Albert Codina

 

von Peter Reichenbach

 

Foto: Roberta Schneider
Foto: Roberta Schneider

 

Mairisch mag Hörbücher und Hörspiele. Umso überraschter waren wir, als wir 2017 in den Niederlanden erfuhren, dass es dort so gut wie gar keine Hörbücher gab und sich nur zögerlich ein Markt dafür entwickelte. In den skandinavischen Ländern hingegen ist der Hörbuchmarkt sogar noch stärker als in Deutschland. Und wie sieht es in Spanien aus? Bei unseren Recherchen stoßen wir zunächst auf widersprüchliche Angaben. Eine Kinderbuch-Verlegerin erzählt uns, dass es in Spanien gar keine Hörbücher gibt, Kinder würden – anders als in Deutschland – überhaupt keine Hörbücher hören. Also keine Audioversion vom Grüffelo oder Hey, hey, hey Taxi in spanischen Kinderzimmern. Bei unserer digitalen Auslieferung Bookwire finden wir allerdings eine Studie, in der es heißt, dass der spanischsprachige Hörbuchmarkt 2020 im Vergleich zum Vorjahr um unfassbare 111 Prozent gestiegen sei. Es muss also Hörbücher auf Spanisch geben! Wie der spanische Markt aussieht und wie es zu so unterschiedlichen Angaben kommt, erklärt mir der Hörbuchproduzent und ehemalige Booka-Hörbuchverleger Albert Codina, den ich in einem Aufnahmestudio treffe.

 

Albert, magst Du etwas über den von Dir gegründeten Hörbuchverlag Booka erzählen?

Den Hörbuchverlag Booka gründete ich 2014 als Teil der Cannonballsound Studios, einem Postproduktionsstudio für Werbeaufnahmen, an dem ich beteiligt bin. Ich schrieb einfach unabhängige Autoren auf Amazon an und schlug ihnen vor, ihr Buch als Hörbuch zu produzieren,  bot an, die Produktionskosten und damit auch das Risiko zu übernehmen. Natürlich waren sofort alle dabei, schließlich hatten sie nichts zu verlieren. Auf diese Weise habe ich von 2014 bis 2016 etwa 40 Titel produziert.

Ab 2015/16 erhielt ich dann immer mehr Anfragen von Verlagen wie Penguin Random House, Planeta, El Grano de Mostaza, Storytel, Audible ... Sie wollten, dass ich Hörbücher zu ihren Titeln produziere. Im Jahr 2016 haben wir unsere Aufnahmestudios in unseren eigenen Räumlichkeiten eingerichtet. Von 2016 bis 2020 habe ich sowohl als Verleger als auch als Produzent gearbeitet und 150 Hörbücher produziert. Im Jahr 2021 habe ich dann Booka an Recorded Books (einen großen nordamerikanischen Verlag) verkauft. Seitdem arbeite ich ausschließlich als Produzent. Wir haben bis heute mehr als 1.500 Hörbücher produziert und sind wahrscheinlich der am längsten tätige Hörbuchproduzent in Spanien.

 

Seit wann, würdest Du sagen, gibt es Hörbücher in Spanien?

Der spanische Hörbuchmarkt ist viel jünger als der deutsche, so richtig gibt es ihn eigentlich erst seit drei Jahren. Ab 2015 gab es ein paar wenige Verlage, die auf die Produktion von Hörbüchern setzten, man konnte sie an den Fingern einer Hand abzählen. Mit der Ankunft von Storytel im Oktober 2017 wurde der Hörbuchmarkt dann aber angekurbelt. Es dauerte ein paar Jahre, bis sich auf Storytel genügend Hörbücher fanden, um attraktiv zu sein. 2019 kam dann noch Audible dazu. Mit der Ankunft dieser beiden starken Anbieter – ich vergleiche sie gerne mit Netflix und HBO – konnte man von einem ernst zu nehmenden Hörbuchmarkt in Spanien sprechen.

 

Das bedeutet, dass man in Spanien keine Hörbücher auf CD kaufen kann?

Auf dem spanischen Markt haben Hörbücher auf CD noch nie funktioniert. Der spanische Verbraucher konsumiert Hörbücher via Streaming auf Plattformen wie Audible, Storytel, Podimo, Spotify ... Eine Minderheit kauft Hörbücher im Download auf Plattformen wie Google Play, Audioteka und anderen. Ich denke, ich kann behaupten – und ich bezweifle, dass ich mich irre –, dass das Hörbuch in Spanien ohne Streaming-Plattformen nicht durchgestartet wäre! Die Menschen haben sich daran gewöhnt, einen normalerweise niedrigen monatlichen Festpreis zu zahlen und dafür alle Inhalte hören zu können. Inzwischen haben 34 Prozent der Bevölkerung schon einmal ein Hörbuch gehört.

 

Wie läuft die Produktion eines Hörbuches bei Euch?

Ein Verlag beauftragt uns mit der Produktion eines Hörbuchs, schickt uns das Manuskript und wir erstellen ein Budget. Einer der wichtigsten Teile der Produktion ist eine erste Lektüre des Buches, um die Charaktere, die Handlung und den sprachlichen Ausdruck des Textes zu verstehen. Manchmal weiß der Verlag bereits, welche Stimme er aufwenden möchte, in vielen anderen Fällen aber auch nicht. Dann bereiten wir ein Voice Casting für das Hörbuch vor. Glücklicherweise ist die spanische Synchronisation eine der besten und anerkanntesten in Europa, sodass wir hervorragende Sprecher für die Hörbuchproduktion haben. Entsprechend werden manche Hörbücher vom Autor selbst eingesprochen, andere hingegen von Synchronsprechern oder auch von "bekannteren" Schauspielern. Es hängt immer vom Buch ab, bei Büchern zur Selbsthilfe und Persönlichkeitsentwicklung wird es immer üblicher, dass die Autor*innen das Buch selbst einlesen. In den übrigen Genres sind es normalerweise professionelle Sprecher. Am Ende entscheidet der Verlag.

Eine Aufnahmesession dauert in der Regel drei Stunden, eine Session macht meist 50 Prozent des endgültigen Audiomaterials aus. Das hängt stark von der Komplexität des Buches ab, ob es sich um Belletristik oder Sachbuch handelt, von den Charakteren, von sprachlichen Besonderheiten usw. Wir haben bereits Hörbücher produziert, in denen bis zu acht Sprachen gesprochen werden, man stelle sich die Schwierigkeit allein auf der sprachlichen Ebene vor.

Bei allen Aufnahmen sorgt ein Regisseur dafür, dass die Intention der Autor*innen durch die Sprecher*innen auch vermittelt wird. Regisseur*in und Schauspieler*innern sind gemeinsam dafür verantwortlich, ein Hörbuch zu schaffen, das Emotionen vermittelt, die Spannung hält, die notwendigen Pausen an den richtigen Stellen setzt, die Dialoge nicht übertreibt und die Charaktere immer klar unterscheidbar macht. "Komm, setz Dich zu mir und ich erzähle Dir eine Geschichte" - so produzieren wir bei Booka.

 

Könntest Du sagen, welche Genres am beliebtesten sind?

Das Genre, das wir am meisten produzieren, ist Thriller, gefolgt von Hörbüchern zu den Themen Selbsthilfe, Motivation und Persönlichkeitsentwicklung.

 

Und wie ist das mit den unterschiedlichen in Spanien vertretenen Sprachen?

Von den 1.500 Hörbüchern, die wir produziert haben, waren 30 auf Katalanisch, etwa 80 auf Lateinamerikanischem Spanisch – der Rest auf Kastilisch. Hierbei sollte man beachten, dass Hörbücher in Lateinamerikanischem Spanisch hier in Spanien nicht funktionieren. Die Verkaufszahlen, die ich während meiner Tätigkeit als Verleger einsehen konnte, spiegeln dies wider.

 

Wie schätzt Du die weitere Hörbuch-Entwicklung in Spanien ein?

Es gibt immer mehr kleine Verlage, die ihre eigenen Hörbücher produzieren. Und ich habe gerade eine Anfrage eines deutschen Verlages reinbekommen, der seine Hörbücher für den spanischen Markt von mir produzieren lassen möchte.

 


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