Was macht es mit dir, in eine fremde Stadt zu kommen? Wie fängst du das Leben dort an? Und wie schaffst du es, deine Vergangenheit, deine Gegenwart und deine Zukunft in Einklang zu bringen?
Der britisch-ugandische Autor Musa Okwonga erzählt in seinem autofiktionalen Roman davon, wie es ist, in Berlin anzukommen und sich dort als Person of Colour zurechtzufinden, wie es ist,
Freund*innen zu finden, Fußball zu spielen, sich zu verlieben und wieder zu trennen, die Magie des Voodoos zu erfahren, Kuchen zu essen und als Autor zu arbeiten. Es ging immer nur um Liebe ist
ein berührender, persönlicher und poetischer Text über Dating, Liebe und Sexualität, über Rassismus und Entfremdung, über Verlust und Selbstakzeptanz. Und über die Suche nach einer Heimat, nach
einem Ort, an dem man sich wohl und geborgen fühlt und an dem Hautfarbe keine Rolle spielt, irgendwo zwischen Uganda, London und Berlin.
Es ging immer nur um Liebe - Zur EINFÜHRUNG
von Musa Okwonga
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Rechtschaffene Migrant*innen
Was geschah mit den Winden, die die Sklavenschiffe sandten?
Einige dieser Böen sind stolz, dass sie jene alten Segel füllten.
Du hast gehört, wie sie in der Wahlnacht über Berlin jubelten,
über den Aufgang des Monds und der extremen Rechten;
du hast gehört, wie sie durch die Gänge
des Holocaust-Mahnmals pfiffen,
an steinerne Böden und Wände klatschten,
schnaufend applaudierten.
Was geschah mit den Winden, die die Sklavenschiffe sandten?
Einige dieser Brisen, noch immer schuldbeladen,
bringen nun Flüchtende schnell gen Europa, begierig,
dass ihre Sünde verlischt,
schleudern sie noch mehr dunkle Körper in die Gischt.
Berlin ist nicht Deutschland, werden die Leute zu dir sagen. Was sie freilich meinen, ist, dass Berlin nicht wie das übrige Deutschland ist. Aber Berlin ist zutiefst deutsch. Wenn jede Stadt dieses Landes Mitglied derselben Familie ist, dann ist Berlin lediglich das spitzbübische Geschwister, das von zu Hause weggelaufen ist. Während es München und Frankfurt jeweils geschafft haben, eine Hypothek zu bekommen, hat Berlin eine*n ältere*n Partner*in aufgerissen und ein paar Barjobs angenommen.
Berlin ist keine Stadt für Erwachsene. Sie werden das sagen und denken, dass es stimmt, aber sie irren sich. Berlin ist oft schrecklich erwachsen. Unschuld verweilt hier nicht. Um hier zu überleben, musst du wenigstens halb Wolf sein. Was sie meinen, ist: Berlin ist so unberechenbar wie ein wütender Jugendlicher. Andere Städte können es mit seinen emotionalen Extremzuständen nicht auf-nehmen. Um in Berlin zu leben, musst du wirklich etwas Elternhaftes haben – du musst die Stadt aushalten, während sie durch ihre diversen Stimmungsschwankungen rauscht.
Ah, Stimmungsschwankungen. Obwohl Berlin ein Ort extremer Jahreszeiten ist, beschränken sich die unter-schiedlichen Umschwünge der Stadt nicht auf das Wetter. Ihre Einwohner schockieren dich durch ihr rüdes wie ihr liebenswürdiges Tun, oft an ein und demselben Tag. Aus diesem Grund wirst du vielleicht süchtig nach Berlin. Falls ja, dann liegt das daran, dass es sowohl zu viel als auch nicht annähernd genug ist. Du kannst dich in dieser Stadt vollkommen sättigen und dich dennoch nach mehr sehnen.
Die Leute werden oft fragen, was dich nach Berlin verschlagen hat – und sie werden für diese Frage oft genau diese Worte wählen, als ob du hierhergerufen worden wärst. Vielleicht wurdest du das, in gewissem Sinne. In Berlin zu leben ist, wenn auch keine Berufung, so doch bezwingend. Man muss zu einer besonderen Art Mensch gehören, um hierherzukommen, und zu einer wieder ganz anderen Sorte, um hierzubleiben. Schon bald wird diese Stadt dich wissen lassen, zu welchem Schlag du zählst.
Rechtschaffene Migrant*innen
Was geschah mit den Winden, die die Sklavenschiffe sandten?
Einige dieser Böen sind stolz, dass sie jene alten Segel füllten.
Du hast gehört, wie sie in der Wahlnacht über Berlin jubelten,
über den Aufgang des Monds und der extremen Rechten;
du hast gehört, wie sie durch die Gänge
des Holocaust-Mahnmals pfiffen,
an steinerne Böden und Wände klatschten,
schnaufend applaudierten.
Was geschah mit den Winden, die die Sklavenschiffe sandten?
Einige dieser Brisen, noch immer schuldbeladen,
bringen nun Flüchtende schnell gen Europa, begierig,
dass ihre Sünde verlischt,
schleudern sie noch mehr dunkle Körper in die Gischt.
Was geschah mit den Winden, die die Sklavenschiffe sandten?
Einige dieser Lüfte sind putzgesund,
sie vergaben sich selbst, aus diesem Grund:
Die herrschende Stimmung riss mich einfach mit,
dagegen konnte ich nichts tun.
Was geschah mit den Winden, die die Sklavenschiffe sandten?
Einige dieser Orkane sind nach wie vor entrüstet,
du hörst sie im Brustkorb von Aktivist*innen,
die in Spandau Faschist*innen gegenüberstehen:
Sie sind das Heulen aller afrikanischen Kinder, Frauen,
Männer, die ertranken.
Diese Winde haben immer Widerstand geleistet,
mit jedem großen, jedem kleinen Atemzug –
ob sie nun Stürme formten, die Sklavenhändler-
schiffe zu versenken,
oder einen kecken Windstoß schickten,
den Herren ihren Hut vom Kopf zu blasen.
Was geschah mit den Winden, die die Sklavenschiffe sandten?
Keiner von ihnen hat sich zur Ruhe gesetzt:
Sie sind zu Millionen nach Deutschland gezogen,
und die Rechtschaffenen triffst du, wenn sie
am Wochenende durch die Hauptstadt flüstern,
durch ein Fenster schlüpfen, ein queeres Paar zu kühlen
nach einem langen Nachmittag der Liebe,
oder durch Grillfeste auf dem Tempelhofer Feld säuseln,
zufrieden, dass es eine Welt noch gibt, die weiß,
wie Freiheit riecht.
Musa Okwonga
2022
Fotos: Timo Ruppel
Musa Okwonga - "Es ging immer nur um Liebe"
152 Seiten
ISBN 978-3-948722-19-7
20,00 €