Kann man Geister zeichnen? Oder Gespenster vielleicht? Und warum fürchten wir uns eigentlich vor ihnen? Wir kennen sie seit unserer Kindheit, sie huschen durch unsere Erinnerungen, füllen
gruselige, verlassene Orte und schauen uns im Spiegel an. Die Menschen kannten sie zu allen Zeiten, in Vergangenheit und Gegenwart.
In der aktuellen Ausgabe SPRING #17 zeichnen die 16 Illustratorinnen geliebte wie auch vergessene Gespenster. Sie führen
uns durch analoge und digitale Geisterstädte, beschäftigen sich mit dem Gespenst des Kapitalismus und mit dem Gespenstischen in den Emotionen.
Die Illustratorinnen Birgit Wehye, marialuisa und Romy Blümel erzählen uns im Gespräch von
Urahnen und Gespenstern, von dem »Hätte-ich-doch-nur-Gespenst«, welches uns nachts nicht schlafen lässt und welche Geister sie in der Gegenwart schaudern lassen.
Vorab, welche Gespenster verfolgen euch, beziehungsweise an welche Geister glaubt ihr?
Birgit: Ich bin in Ostafrika aufgewachsen und für mich war schon als Kind klar, dass wir ganz eng mit unseren Vorfahren verbunden sind, denn in allen Märchen und Erzählungen dort sind die Ahnen eine feste Größe. Mit ihnen gilt es in Kontakt zu bleiben, sonst wirkt sich das destruktiv auf die Gegenwart aus. Später habe ich Geschichte studiert und festgestellt, wie lange historische Ereignisse nachwirken. In der Traumaforschung geht man ja mittlerweile von einigen Generationen aus, bis ein kollektives Trauma überwunden ist. Insofern glaube ich an die Gespenster der Vergangenheit, denen wir uns immer in irgendeiner Form stellen müssen. Gerade in Deutschland.
marialuisa: Bei mir ist es ähnlich. Meine Familie kommt aus Argentinien und mein Vater hatte eine große Affinität zu Religionen und zur Esoterik: Dort war es vollkommen normal, dass man regelmäßig über »sensible Personen« Kontakt zu Geistern aufnahm und sich Rat und Hilfe von Verstorbenen holte. Selbst der Präsident hat sich damals in politischen Fragen offiziell von einem Wahrsager beraten lassen. Ich habe selbst auch einige Erfahrungen mit solchen »Übersinnlichkeiten« gemacht, finde das Thema sehr spannend - und empfinde es auch als irgendwie tröstlich, dass es »da noch etwas geben« könnte - kann aber trotzdem (noch) nicht behaupten, ich würde wirklich daran glauben.
Die Gespenster, an die ich für meinen SPRING-Beitrag dachte, waren eher psychologischer Natur: Meine Gespenster sind die Monster, die aus verdrängten Ängsten, Sorgen und Reue mutieren - und einem ins Bewusstsein drängen, wenn man gerade offen dafür ist… Es zeigt sich in dem Moment etwas Mächtiges, das gesehen werden will. Zum Beispiel »Das-große-Unrechts-Gespenst« (Tierleid, Umweltzerstörung, Klimawandel…) - Der Schreck darüber, dass - während man sein kleines Leben lebt - im selben Augenblick so viel Unrecht geschieht, die Erde unwiderruflich zerstört wird und Lebewesen unfassbares Leid erfahren. Meistens kann man es verdrängen, manchmal schafft man es nicht. Und das ist natürlich auch gut, um aktiv zu werden. Man sollte den Schreck überwinden, sich seinen Ängsten stellen und versuchen, stimmig zu seinen Überzeugungen zu leben. Dann lösen sich die Gespenster, die man selbst erzeugt hat, wieder auf. Deswegen sind meine Gespenster auch nicht gerade böse gezeichnet; sie gehören zu einem und man sollte gewissermaßen mit ihnen zusammenarbeiten.
Wichtig finde ich noch das »Hätte-ich-doch-nur«-Gespenst. Dabei handelt es sich um die plötzliche Erinnerung an Erlebnisse und begangene Fehler in der Vergangenheit. Es gibt aber auch die kleinen Gespenster, die einen bei Gelegenheit piesacken: Zum Beispiel der »Geist, der einen versucht klein zu machen« oder das »Verbotene-Gedanken-Gespenst«. Oder das Gespenst im Kopf, das auftaucht, wenn jemand den Kontakt verweigert, dem man noch etwas zu sagen und den man noch etwas zu fragen gehabt hätte (- beim sogenannten 'Ghosting').
Das Schlimme ist, dass Gespenster sich gleich gruppenweise über einen hermachen; es bleibt meistens nicht bei nur einer Sorge. Mir sind eine Menge Gespenster eingefallen, aber da man nicht alles in einem Beitrag erzählen kann, was man möchte, habe ich versucht, einen Aspekt - nämlich den Moment des Überfalls - möglichst allgemeingültig zu beschreiben.
Das Schöne an SPRING; das Schöne an so einer Anthologie ist ja, dass sich in den Beiträgen aller Zeichnerinnen die unterschiedlichen Aspekte und Perspektiven eines Themas ergänzen können.
Romy: Ich fühle mich oft von Gespenstern verfolgt. Fremdgesteuert und getrieben von täglichen Pflichten, Süchten, Sehnsüchten, Zwängen und so weiter. Das sind natürlich keine Gespenster in Bettlacken oder Erscheinungen meiner Urahnen, die mich morgens auf ein Laufband stellen und Abend nicht schlafen lassen.
Aber der ständige Impuls aufs Handy zu schauen, abends doch noch den Schokoriegel aus dem Kühlschrank zu holen oder nie nur ein Glas Wein trinken zu können, das steuert nicht mein Verstand. Auch die Ängste, die meine Eltern mir mitgegeben haben und die Sucht nach Konsum und Individualität, die sind mit klarem Verstand nur schwer im Zaum zu halten. Und am Ende gehe ich mit meinen Gespenstern ins Bett und kann nicht einschlafen vor Zweifeln, Stress und Zukunftsangst, ähnlich wie marialuisa es beschreibt. Ohne diese Gespenster würde ich im Einklang mit der Natur leben, würde nie mit meinen Kinder schimpfen und könnte abends vorm Einschlafen wieder ein Buch lesen, anstelle auf Instagram oder auf Nachrichtenportalen zu verschimmeln.
Es hilft sich den Gespenstern zu stellen, sie genau zu betrachten und sie auch ein bisschen lieb zu gewinnen. Es gibt ja auch diese tollen Gespenster, die das Telefon klingeln lassen, wenn man gerade an jemanden denkt.
Gespenster als Motiv gibt es ja schon lange. Was glaubt ihr, wie unterscheiden sich die Gespenster der Vergangenheit von denen aus der Gegenwart oder gar der Zukunft?
Birgit: Gespenster und Geister haben ja immer etwas mit Tod zu tun. Und davor haben wir natürlich alle Angst. Daran wird sich nichts ändern. Aber durch die digitale Vernetzung wissen wir ständig alles - jede Katastrophe, alle Anschläge und Kriege rücken näher. Das erhöht eher noch die Angst. Das Skelett als spukender Toter - diese Motiv beispielsweise wird immer bleiben. Denn egal wer, wo und wie wir sind - ein Skelett haben wir alle!
marialuisa: Diese Kategorisierung ist sehr interessant! Es ist jedoch schwer zu sagen - Vielleicht werden es einfach immer mehr Gespenster, da sich heute in allem stetig die Geschwindingkeit und die Menge an Informationszufuhr erhöht. Oder immer weniger…
Romy: Also wenn ich mir die sogenannten Reichsbürger, die sonntäglich an der B96 bei Bautzen demonstrieren oder am Rande einer Demonstration den Reichstag stürmen betrachte, dann habe ich schon den Eindruck, dass die Gespenster unserer Urahnen gerade wieder lauter werden. Oder sind das Zombies, die da auf der Straße die Stimmen erheben? Die Gepsenster sind scheinbar immer dieselben, in immer wieder neuer Verkleidung. Aber wie Birgit am Anfang schon gesagt hat, müssen wir mit unseren Ahnen in Kontakt bleiben, um unsere Geschichte zu wissen und uns mit den Gespenstern auseinanderzusetzen. Zombies gehören allerdings aus der Öffentlichkeit verbannt. Das ist ja ekelig mit den ganzen dümmlichen Gesichtern und wütigen Fratzen.
Ein Gefühl, welches durch Gespenster transportiert wird, ist Furcht. Wie kann Kunst uns Furcht nehmen? Kann Kunst das überhaupt?
Birgit: In meiner Geschichte geht es ganz stark um Furcht - wie sieht unsere Zukunft aus, wenn wir den Kontakt zur Vergangenheit verlieren? Ich glaube, dass jede Art der Auseinandersetzung mit unseren Ängsten, Wünschen, Unzulänglichkeiten, Befindlichkeiten immer hilft. Und Kunst kann neue Blickwinkel eröffnen, andere Akzente setzen. Wenn ich alleine bin, in fremden Städten, mich überfordert fühle - dann gehe ich immer ins Museum. Es ist doch tröstlich, dass es auf die immer gleichen Fragen so viele verschiedene Antworten und Sichtweisen gibt.
marialuisa: Ja, Kunst kann eine neue Perspektive anbieten, etwas gewissermaßen übersetzen. Dinge in eine zweite, poetische Ebene verwandeln, dadurch Trost spenden und/oder Hilfestellung im Umgang geben. Vor allem soll Kunst inspirieren.
Romy: Kunst erschaffen heißt ja, eigentlich erst einmal etwas zu tun, das eigenen Gesetzen folgt und nicht zum Beispiel dem Konsum unterliegt. Aber es kann ein Kommentar oder ein Ausdruck zur Zeit, in der wir leben, sein. In diesem Moment setzen wir uns mit unserer Gegenwart auseinander und begegnen eventuell auch unseren Gespenstern.
Kunst erschaffen, kann uns befreien von Zwängen und kann uns natürlich auch die Furcht nehmen. Kunsttherapie ist ja in allen Altersgruppen eine Methode zur Bewältigung von psychischen Erkrankungen. Die Betrachtung von Kunst kann natürlich beides: Furcht erzeugen und fröhlich stimmen, auch durch Humor.