Von Daniel Beskos
Es ist ein ausgesprochen sonniger Morgen, der Himmel ist strahlend blau und wir warten vor einem Café direkt gegenüber des Louvre, der von hier aus wirklich beeindruckend riesig ist. Das Gespräch mit Pierre Astier hatten wir schon länger vereinbart - und sind sehr gespannt, denn er wurde uns von vielen Seiten empfohlen als der Agent in Frankreich, einem Land, in dem das Agenturswesen im Literaturbereich noch recht neu ist und erst noch einige Lanzen für diesen Beruf gebrochen werden müssen. Und auch wenn es inzwischen verbreitet ist, dass Verlage im In- und Ausland ihre Bücher über Agenturen lizensieren, so haben noch immer nur ganz wenige französische Autor*innen einen Agenten, eigentlich nur die sehr bekannten - und die erwähnen das in der Öffentlichkeit wohl kaum. Und auch der literarische Austausch zwischen Deutschland und Frankreich ist so ein Thema: In Deutschland, heißt es, gibt es eine große Aufmerksamkeit für französische Bücher, Französisch ist nach Englisch die zweitmeistübersetzte Sprache. In Frankreich ist das ganz anders: Deutsche Bücher haben es sehr schwer, hier veröffentlicht zu werden, Bücher aus anderen Sprachen (neben Englisch etwa Spanisch oder Japanisch) sind hier viel gefragter. Ein Zitat in diesem Zusammenhang ist bei uns zum running gag geworden, über den wir uns dauernd amüsieren: "Der einzige deutsche Autor, der in Frankreich etwas gilt, ist Stefan Zweig". Es gibt also auch hier viel zu tun für Agenturen und wir freuen uns auf das Gespräch mit Pierre Astier. Aber zuerst: Croissants, Chocolat und Espresso. Dann kanns losgehen.
Monsieur Astier, wie ist das, in Frankreich eine Agentur zu betreiben. Das ist nicht eigentlich nicht so verbreitet wie in England, den USA oder Deutschland, oder?
Nein, es ist nicht so einfach hier. Nicht zuletzt liegt das daran, dass es eine ziemlich festgefahrene Vorstellung einer chaîne du livre gibt, einer traditionellen Entstehungs- und Verwertungskette des Buches, die vom Autor und den Übersetzer über den Verlag, den Vertrieb, den Buchhändler oder Bibliothekar über den Veranstalter bis zum Leser reicht – und Agenturen kommen darin nicht vor. Da alle Elemente dieser Kette stark von der Regierung unterstützt werden, nur eben die Agenturen nicht, ist es für diese nicht einfach, in diesem System zu bestehen. Auch die verschiedenen Institutionen, die u.a. den Verkauf von Auslandsrechten unterstützen (wie etwa das BIEF, das CNL oder das Institut français), werden vom Staat gefördert. Es gibt also traditionelle Wege, auf denen Bücher veröffentlicht und auch ins Ausland lizenziert werden – doch sobald Agenturen involviert sind, wird es sehr kompliziert, Förderungen zu beantragen. Seit Jahren kämpfen wir also dafür, dass Agenturen hier involviert werden. Dass wir überhaupt so hart kämpfen müssen, liegt daran, dass die großen französischen Verlage (wie Gallimard, Grasset, Flammarion und Fayard) sich teilweise gegen die Arbeit mit Agenturen gestellt haben. Sie wollen natürlich auch weiterhin die Weltrechte an Manuskripten erwerben, während die Agenturen ihnen nur eingeschränkte Rechte verkaufen würden. Und natürlich haben diese Verlage auch bereits beste Kontakte zum CNL oder Institut français, um die Lizenzen nicht nur zu verkaufen, sondern auch die entsprechenden Förderungen für die Lizenzpartner zu generieren. Aber das bedeutet eben auch, dass die kleineren, unabhängigen Verlage es noch immer sehr schwer haben, ihre Bücher ins Ausland zu verkaufen. Doch wir leben ja nicht mehr in den 1980er Jahren. Zum Glück ist der neue Präsident Macron auch der Meinung, dass sich in Frankreich einiges ändern muss – auch in der Kultur.
In Deutschland ist die Arbeit mit Agenturen im In- und Ausland schon ziemlich normal geworden und viele Verlage schätzen sie als Filter und Empfehlungsinstitution.
Ich glaube auch, dass es in der Kultur Platz für alle gibt – auch wenn manche Verlage hier das anders sehen.
Wie kamen Sie denn überhaupt darauf, hier eine Agentur zu gründen?
Auf fünf Kontinenten wird in französischer Sprache geschrieben und auch veröffentlicht. Seit Jahrhunderten ist Paris das Zentrum dieser frankophonen Welt. Doch diese Zeiten sind meiner Meinung nach vorbei – es kann nicht sein, dass zwanzig oder dreißig Verleger in Paris alle Entscheidungen für diese weltweite Szene treffen. Ein Debütautor etwa, der in Antananarivo auf Madagaskar lebt und auf Französisch schreibt, kennt in Paris niemanden in den Verlagen, er wird keine Chance haben, hier einen guten Verlag zu finden. Er braucht jemand, der ihn vermittelt. Und warum sollte sein Buch auch unbedingt in Paris erscheinen – es gibt auch tolle Verlage in Bordeaux, in Marseille, in der Schweiz oder in Quebec in Kanada. Das war also damals mein Grundgedanke – den Autoren diese Möglichkeiten aufzuzeigen und sie zu vermitteln.
Inzwischen haben wir auch Subagenten, etwa einen in Asien (China, Malaysia, Thailand, Indonesien), der unsere Rechte dort verkauft, und im Gegenzug vertreten wir Autoren aus diesen Ländern in Europa. Das gleiche mit den arabischsprachigen Ländern. Als nächstes suchen wir jemanden für Lateinamerika. Und natürlich arbeiten wir mit französischsprachigen Autoren und Verlagen in verschiedenen Ländern (Frankreich, Schweiz, Belgien und in Afrika). Und aktuell haben wir im vergangenen Jahr auf mein Betreiben hin eine Vereinigung aller französischen Agenturen gegründet, in der jetzt über 20 Agenturen Mitglied sind, und in der man sich austauschen kann.
Aber herrscht da keine Konkurrenz zwischen den Agenturen?
Ja, aber nicht nur. Wir haben kürzlich damit begonnen, eine Art Vereinbarung aufzusetzen, die alle Agenturen unterzeichnen sollen und in der festgehalten ist, wie sich Agenturen verhalten sollen, gerade im Hinblick auf Autoren, die etwa den Verlag oder die Agentur wechseln wollen. Darin sollen ein paar klare Grundsätze aufgestellt werden, damit wir uns fair und eindeutig verhalten und nicht wie Gangster. Im Juni wollen wir das öffentlich bekanntgeben, und ich hoffe, es wird einiges an positiver Resonanz für uns geben. Etwas Vergleichbares gibt es unter Verlegern leider nicht – und daher kommt es leider allzu oft vor, dass die großen Verlage den kleinen Verlagen die Autoren wegnehmen. Die Indie-Verlage, etwa in Marseille oder Bordeaux, stecken so viel Arbeit in die Suche nach guten Autoren und dann kommen die großen und kaufen sie ihnen weg. Ich finde das furchtbar.
Woher weiß man eigentlich, welches Buch man in welches Land verkaufen kann?
Das ist auch nicht immer ganz einfach. Aber wir reisen viel, auch zu den verschiedenen Buchmessen, so langsam kriegt man ein Gespür. Zum Beispiel funktionieren historische Romane in Spanien, Portugal und Südamerika sehr gut, jedenfalls besser als etwa in den Niederlanden. Einen Erotikroman verkaufen wir auf keinen Fall nach China, aber vielleicht nach Deutschland. Auch für politische und religiöse Themen ist China sehr schwierig.
Hat der diesjährige Gastauftritt Frankreichs auf der Frankfurter Buchmesse eine Bedeutung für Ihre Arbeit?
(Lacht) Ach ja, der Gastauftritt. Das ist ja so eine ganz besondere Geschichte. Er bedeutet sehr viel. Und zwar von Anfang an, seit dem Sommer 2014, als der Skandal so richtig abhob. Seitdem verfolge ich das sehr intensiv.
Der Skandal war, dass einige Verleger den Gastauftritt nicht wollten, weil sie sagten, man habe schon ausreichende Beziehungen nach Deutschland und der Auftritt koste zu viel Geld?
Ja, so in der Art. Hat Ihnen mal jemand die ganze Geschichte erzählt?
Nein.
Das wundert mich nicht. Es war ja auch eine echte Schande. Es gibt einen Buchhändler in Paris, Monsieur Poirier, der in Montparnasse einen ganz ausgezeichneten Buchladen hat (Tschann), der, warum auch immer, wusste, dass Frankreich seit Jahren von der Buchmesse als Gastland eingeladen war, aber nie geantwortet hat. Also ein Buchhändler wohlgemerkt, kein Verleger oder Agent! Er hat sich furchtbar darüber aufgeregt. Er schrieb also einen öffentlichen Brief an Livre Hebdo, in dem er sagte, falls Frankreich sich Deutschland gegenüber weiterhin so unhöflich und desinteressiert zeigen sollte, würde die Buchmesse sicher irgendwann ein anderes Land einladen, und das sei ein Skandal. Man verpasse dadurch eine großartige Gelegenheit, den französischen Buchmarkt der Welt zu zeigen. Das erzeugte großen öffentlichen Widerhall. Verschiedene Ministerien und Institute, darunter der Kultusminister, der Premierminister und sogar der Präsident, hatten eine Einladung vorliegen – und keiner hatte je geantwortet. Als ich das gelesen habe, bin ich fast durchgedreht, und ich war nicht der Einzige, die Verleger von Gallimard und Actes Sud etwa waren alle ebenfalls sehr verärgert. Wir telefonierten herum und besprachen uns – wie konnte man nur so dumm und unhöflich sein! Andere Länder warten Jahre auf eine solche Gelegenheit, und wir sagen nichts, noch nichtmal Nein, danke, einfach gar nichts. In verschiedenen Gesprächen und Interviews habe ich immer wieder gesagt, dass wir das so nicht akzeptieren können. Und ich habe damals dann verstanden, dass dafür eine ganz bestimmte Person verantwortlich war, (und Sie können mich hier gerne zitieren), nämlich der Leiter des BIEF. Er sagte: Wir brauchen den Gastauftritt nicht. Das zeigte einen solch unglaublichen Mangel an Vision, an Vorstellungskraft, ich kann das wirklich nicht verstehen. Es hat mich sehr aufgeregt. Im Französischen sagt man la moutarde monte au nez (quasi: Mir stieg der Senf hoch).
Dann endlich reiste der Premierminister nach Berlin und sagte: Natürlich nehmen wir die Einladung an, wir freuen uns sehr usw. Und man benannte Paul de Sinety zum Leiter des Organisationskomitee, ein Freund von mir, den ich immer sehr unterstützt habe. Ich finde, er ist sehr tüchtig und hat die Vorstellungskraft, die man für einen solchen Job braucht. Aber auch ihm war nicht ausreichend klar, dass das Wichtigste an einem solchen Gastauftritt der Rechtehandel ist. Ich habe ihm gesagt: Das muss man zuerst organisieren, wer wann wohin eingeladen wird fürs Kaufen und Verkaufen von Rechten, damit das Angebot möglichst breit gefächert ist. Natürlich sind das die großen Verlage in Paris, aber auch die kleinen, unabhängigen Verlage überall im Land, die eben auch viele Autoren entdecken und daher auch in Frankfurt sein sollten. Leider waren die letztendlich total unterrepräsentiert.
Und die andere Idee, die wir hatten, war, dass es nicht nur Frankreich wäre, sondern die französische Sprache insgesamt, die in Frankfurt repräsentiert werden sollte. Ich war eine Zeitlang auch Mitglied im Auswahlkomitee, wir sollten entscheiden, wer alles nach Deutschland eingeladen wird. Aber ich bin dann irgendwann ausgestiegen, ich konnte nicht weiter unterstützen, wie die Dinge dort gehandhabt wurden. Mein Hauptproblem war, das ausgerechnet jener Leiter des BIEF, der der Hauptgegner des Gastauftritts war, nun der Leiter der Organisation des Rechtehandels geworden ist. Das war glaube ich nicht richtig, ihn dafür auszuwählen. Man hat hier einfach nicht verstanden, worum es beim Gastauftritt im Wesentlichen geht. Das Institut francais und Paul de Sinety legen ihr Hauptaugenmerk auf eine Art französisches Festival, auf Veranstaltungen und Rahmenprogramm – und sie vergessen dabei, dass der Rechtehandel viel wichtiger ist. Daher liegt diese Aufgabe weiterhin beim Leiter des BIEF, was ich so einfach nicht richtig finde. Nun gut, ich will mich nicht zu viel beschweren. Mit deutschen Verlagen arbeiten wir traditionell sehr gut zusammen. Ich finde nur die Bürokratie hier nicht gut.
Und in Frankfurt präsentiert man sich ja nicht nur den deutschen Verlagen.
Ganz richtig, die Frankfurter Buchmesse ist ein Fenster zur ganzen Welt, nicht nur nach Deutschland. Aber das verstehen die Bürokraten hier eben nicht in vollem Maße. Ich reise seit fast 25 Jahren jedes Jahr nach Frankfurt, und ich weiß, dass ein Gastlandauftritt dort für ein Land Großes bewirken kann. Etwa für Indonesien vor zwei Jahren – ich würde sagen, dass der indonesische Buchmarkt vor diesem Auftritt praktisch nicht existiert hat, zumindest war er nicht strukturiert, jetzt ist er es. Das gleiche in Georgien, die 2018 Gastland sein werden. Ich würde so weit gehen zu sagen, dass ein Gastlandauftritt quasi die Geburt eines Buchmarktes sein kann.