Von Peter Reichenbach
Das Büro der Éditions Belfond, in dem Caroline Ast arbeitet, liegt am Place d’Italie, an dem gerade die Blauglockenbäume blühen und den riesigen Kreisverkehr in ein seltsames, lilafarbiges Licht zu tauchen scheinen. Ebenso unwirklich ist der Ausblick, den wir im gläsernen Aufzug über Paris bekommen, wir können geradewegs Montmartre sehen, das auf der anderen Seite der Stadt liegt. Carolines vergleichsweise kleines Büro ist, so, wie man es sich vorstellt: Überall Bücher und Manuskriptstapel. An der Wand ein beeindruckender Plan d’Action (sowas wollen wir auch!). Wir haben keine Zweifel, Caroline, Lektorin für fremdsprachige Literatur bei Éditions Belfond, verbindet eine große Leidenschaft mit ihrem Beruf als Lektorin.
Édition Belfond ist Teil der Gruppe Place des éditeurs mit einem Katalog von rund 500 Titeln und etwa 100 Neuerscheinungen im Jahr.
Caroline, ihr habt auch einige deutsche Titel im Programm, oder?
Genau, zuletzt sind bei uns erschienen: Juli Zeh, Helmut Krausser und ja, “Er ist wieder da“ ist auch bei uns erscheinen, was ein großer Erfolg war. Als nächstes wird hier das neue Buch von Chris
Kraus erscheinen, „Das kalte Blut“. Tatsächlich hatten wir früher nicht allzu viele deutsche Autoren im Programm. Lange Zeit hatten deutsche Bücher keinen guten Ruf in Frankreich. Aber ich
glaube, nicht zuletzt die Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland hat vieles geändert. Ich meine, Juli Zeh, Helmut Krausser, das sind anspruchsvolle Bücher; wenn man so will, sie sind fast ein
bisschen französisch. Und „Er ist wieder da“ war auf jeden Fall ein Buch, das es in Frankreich vor der Weltmeisterschaft so nicht hätte geben können.
Ganz allgemein, wie schätzt du insgesamt die Lage der Literatur in Frankreich ein?
Ich kann natürlich nur für die fremdsprachige Literatur sprechen. Aber aktuell würde ich schon sagen, dass es nicht allzu viele interessante Bücher zu geben scheint. Zum Beispiel: Zur Buchmesse
in London wurde ein Buch von einem jungen, gerade einmal 25 Jahre alten, unbekannten Debütanten angeboten, für das es acht Angebote gab. Unglaublich! Gleich acht interessierte Verlage. Ich denke,
es ist eine Kombination aus Es passiert nicht viel und Es gibt nicht genügend neue, junge Autoren - vor allem nicht aus den USA und England. Daraus ergibt sich aber natürlich die Chance für
Autoren aus anderen Ländern, wie etwa im letzten Jahr Lize Spit aus Flandern.
Und wie ist das mit der Vermittlung junger fremdsprachiger Autoren in Frankreich?
Das ist die größte Schwierigkeit, Aufmerksamkeit für neue und unbekannte Autoren zu erreichen. Das fängt schon bei den eigenen Vertretern an, die auch die anderen Bücher der Verlagsgruppe in
ihrer Tasche haben. Klar, wir haben Harlan Coben, den kennen die Vertreter bereits, da müssen sie nicht viel lesen, aber bei einem neuen Autoren … Das ist wirklich schwer, sie davon zu
überzeugen, dass sie sich die Zeit nehmen, um sich mit ihm zu beschäftigen. Und das gleiche gilt auch für die Journalisten. Auch wir beobachten, dass es immer weniger Besprechungsplätze für
Bücher innerhalb der Zeitungen gibt. Wenn Toni Morrison ein neues Buch schreibt, werden natürlich alle darüber berichten, ganz egal, ob es sehr gut oder nicht so gut ist. Das schluckt schon
gleich eine ganze Seite, in jeder Zeitung. Und danach kommen auch noch die Buchhändler, die wiederum sagen, dass sie Murakami sehr leicht und sehr gut verkaufen können, aber bei allem anderen
wird es schon schwieriger. Und weil wir der französische Murakami-Verlag sind, sind wir in gewisser Weise selbst unsere stärkste Konkurrenz.
Was bedeutet die Einladung Frankreichs zur Frankfurter Buchmesse für dich?
Nun, ich mochte den Niederlande-Flandern-Auftritt sehr. Das war lustig, sie nehmen sich selbst nicht so ernst, sind aber gleichzeitig sehr gewissenhaft in dem, was sie tun. Es ist toll, dass sie
es schaffen, als so ein kleines Land eine so große literarische Reichweite zu erzielen. Der französische Gastlandauftritt wird im Vergleich dazu sicherlich institutionalisierter und
intellektueller ausfallen. Aber klar, für meine Kollegen, die die französischen Autoren betreuen, ist der Auftritt sicherlich wichtig. Ich weiß, dass deutsche Verleger die französischen Autoren
ganz gut kennen, oft besser als ich, was auf den Buchmessen manchmal etwas peinlich sein kann, wenn ich gefragt werde, welche französischen Autoren gerade aktuell sind und ich dann keine Ahnung
habe.
Wo kaufen die Leute in Frankreich ihre Bücher?
In den Buchhandlungen. Amazon ist nicht so groß, das liegt vor allem an der Buchpreisbindung. Und neu ist, dass auch die kleinen Kioske oder Läden, in denen man sein Brot und seinen Tabak kauft,
relevante Stückzahlen an Büchern verkaufen. Sie haben immer schon Bücher verkauft, aber in bestimmten Gegenden sind sie die einzigen Läden, in denen man überhaupt etwas kaufen kann, und so
verkaufen sie zum Teil relativ viele Bücher. So viele, dass sie jetzt auch von unseren Vertretern besucht werden. Und um noch mal auf Amazon zurückzukommen: Es gibt hier ein Gesetz, das Amazon
verbietet, Büchersendungen portofrei zu verschicken, wodurch man die unabhängigen Buchhandlungen schützen wollte. Was Amazon dann gemacht hat: Sie verlangen jetzt 1 Cent pro Bestellung mehr. Nun
ja, immerhin gab es den Versuch, Chancengleichheit zu schaffen.
Und ist das Format Hardcover hier ein Thema? Man sieht das in Frankreich ja eher selten.
Normalerweise haben wir zunächst eine Hardcover-Ausgabe, ein Jahr später erscheint dann die Taschenbuchausgabe, die sich oft zwei bis drei mal so viel verkauft. Das ist auch der Vorteil, Teil
einer Verlagsgruppe zu sein. Hier im Gebäude sind gleich zwei Taschenbuchverlage, mit denen wir natürlich eng verbunden sind und wo viele unserer Bücher dann im Taschenbuch erscheinen.
Was die E-Books angeht, so denke ich, dass sie in bestimmten Genres beliebt sind, bei Liebesromanen, Thrillern, Fantasy usw. Aber was literarische Titel angeht, so würde ich sagen, machen sie nur
etwa 3% des Umsatzes aus.
Haben die aktuellen Geschehnisse in Frankreich (Attentate, Präsidentschaftswahl) einen Einfluss auf eure Arbeit?
Ich meine zu beobachten, dass die Buchhändler seit den ersten Anschlägen auf Charlie Hebdo politischer geworden sind und Bücher französischer Autoren vermehrt in den Vordergrund stellen. Das mag vielleicht keine bewusste Entscheidung sein, doch es entspricht meiner Wahrnehmung. Das macht es für mich natürlich nochmal schwieriger, fremdsprachige Literatur zu vermitteln.
Die aktuellen Geschehnisse in Frankreich haben also direkte Auswirkungen auf den Buchmarkt?
Ja, auf der einen Seite suchen die Leute nach Antworten. Andererseits sind aber auch die sehr leichten, lustigen Bücher erfolgreich, vielleicht, weil die Leute beim Lesen auch vor etwas fliehen
wollen. Aber ich sehe, dass die Leser sich vermehrt im Netz austauschen und gar nicht mehr explizit ein Buch zu einem Thema bei ihrem Buchhändler erfragen. Es sind seltsame Zeiten, aber zugleich
in gewisser Weise aufregende Zeiten, denn auch wenn man vorher schon kaum gültige Voraussagen darüber treffen konnte, wie ein Buch angenommen, besprochen und verkauft wird – so scheint es
heutzutage geradezu unmöglich. Aber auch daraus ergibt sich wiederum eine Chance, nämlich für abseitigere, verrücktere, besondere Bücher. Bücher, die ich mir vielleicht vor fünf Jahren noch nicht
einmal angesehen hätte, interessieren mich jetzt, sie könnten ja Antworten bereithalten für die diese bewegten Zeiten.