Von Daniel Beskos
Claire Stavaux, geboren 1984 in Marseille, hat gerade frisch den renommierten Theaterverlag L'Arche Editeur übernommen. Wir haben sie in ihrem schönen Ladenbüro im Pariser Stadtteil Saint Germain besucht und mit ihr darüber gesprochen, wie sie dazu kommt, als junge Frau Anfang Dreißig nun Verlegerin zu sein.
Claire, Du bist ja in Avignon aufgewachsen – international bekannt ist ja das dortige Theaterfestival. Kannst Du uns das mal genauer erklären? Uns war irgendwie nie klar, wie das dort eigentlich funktioniert – werden da nur Komödien gespielt, oder gibt es da auch ernste Stücke?
Das ist auch total unklar. Es gibt dort viele Boulevard-Stücke, klassische Autoren haben es dort oft schwer, aber in den letzten Jahren kommt auch dort der ernste Text zurück. Avignon ist toll, aber es ist auch eine richtige Industrie dort. Das Festival ist ein wichtiges Schaufenster, man will sich zeigen und neue Stücke austesten, für viele Theatergruppen ist das aber auch finanziell eine große Belastung, da man die Bühnen dort selbst mieten muss. Es gibt zahlreiche Orte, die während des Festivals zu Theatern werden, Museen, Schulen, Garagen, Höfe, Läden, alles mögliche. Man sitzt auf dem Boden oder auf unbequemen Holzbänken und kriegt Rückenschmerzen, es ist sehr eigen. Aber für mich ist es auch der Ort, wo ich zum ersten Mal Theater erlebt habe. Ich habe mir damals vielleicht vier bis fünf Stücke pro Tag angeschaut, zwanzig Tage lang, und mir so den Theatervirus eingefangen. Es war echt ein Marathon, aber auch sehr bereichernd. Es war wirklich ein Erlebnis.
So kamst Du also zum Theater – und wie kamst Du dazu, jetzt auf einmal einen Verlag zu leiten?
Ich habe Deutsch studiert, habe auch ein Jahr in Berlin gelebt und Theaterwissenschaften studiert und auch selbst als Schauspielerin auf der Bühne gestanden. Wir haben damals von Camus „Das Missverständnis“ gespielt, im „kleinsten Theater der Welt“ (typisch Berlin). Leider erlaubte mein Studium an der ENS (Ecole Normale Supérieure) es mir nur ein Jahr in Berlin zu bleiben, dann musste ich zurück, habe aber weiter Germanistik studiert.
Da ich weiter was mit Theater machen wollte, hab ich einige Stücke von Roland Schimmelpfennig übersetzt, und parallel dazu ein Praktikum hier bei L'Arche gemacht. Und schon beim Schleppen der Bücherkisten wurde mir klar: Das hier ist ein Ort für mich. Ich hatte gleich das Gefühl, dass ich hier bleiben muss. Dann hab ich zwar meine Doktorarbeit fertig geschrieben, aber in meinem Hinterkopf war ständig der Ruf des Verlags präsent: Komm zurück! Und das hab ich dann gemacht und bin zurück zu L'Arche, zunächst als Lektorin. Mit dem bisherigen Verleger Rudolf Rach (der den Verlag seit 1986 geleitet hat und in den 1970ern Jahren Leiter des Suhrkamp Theaterverlags war) hab ich gleich auf Augenhöhe zusammengearbeitet und viel von ihm übernehmen können. Nach und nach habe ich immer mehr Verantwortung bekommen, und Rudolf Rach suchte einen Nachfolger, der die Tradition der Unabhängigkeit weiterführt und mit dem er eine geistige Verwandtschaft fühlt. Das teilen wir miteinander. Daher wurde irgendwann festgelegt, dass ich allmählich den Verlag übernehmen sollte. Vor eineinhalb Jahren haben wir das Ganze dann auch vertraglich fix gemacht.
Ah, du hast den Verlag also quasi jetzt gekauft?
Ja, genau. Ursprünglich sollte ich nur Co-Inhaberin werden, aber ich habe schnell gemerkt, dass ich nur dann frei und selbstbestimmt arbeiten kann, wenn ich den Verlag kaufe. Das war auch für mich ein Abenteuer, aber ich wollte es gerne versuchen. Wir haben so ein wunderbares Programm und es ist ein großes Glück, das fortführen zu können. Es war auch ein bisschen wie bei Monopoly, ich kaufe das jetzt, aber letztlich war es auch vertraglich einfacher, eine Firma ganz zu kaufen, statt nur Teile auf mich zu überschreiben. Ganz abgeschlossen haben wir die Übergabe gerade erst vor zwei Wochen, ihr seid also die ersten, die das mitbekommen.
Ihr vertretet nicht nur französische Theaterstücke, richtig?
Nein, international, auch viele deutsche Stücke sind bei uns im Programm, natürlich in französischer Übersetzung. Wir sind z.B der einzige Verlag von Brecht in französischer Sprache. Außerdem hatten wir bis vor kurzem Pina Bausch, und wir haben zahlreiche deutsche Autoren wie Max Frisch, Herbert Achternbusch, Thomas Brasch, Heiner Müller, Rainald Goetz, Büchner, Handke, Grünbein, Jelinek, Fassbinder, außerdem Marius von Mayenburg und Falk Richter, vor kurzem habe ich auch die Rechte des jungen Schweizer Autors Wolfram Höll (Preisträger Mülheimer Dramatik) erworben. Aus dem Italienischen haben wir Stefano Massini, der dokumentarisches Theater macht, ein sehr guter junger Autor, der, glaube ich, eine große Zukunft vor sich hat. Aus dem Englischen vertreten wir einige erfolgreiche Autoren, wie etwa Sarah Kane und Martin Crimp, und veröffentlichen und repräsentieren neben weiteren skandinavischen Autoren unter anderem auch Lars Noren (Schweden) oder Jon Fosse (Norwegen). Diese Vielfalt an Sprachen und Weltbildern macht unsere Stärke aus.
Thematisch hatten wir in den letzten Jahren hier natürlich zahlreiche Stücke zu den Themen Exil, Emigration und Flucht, wie z.B. von Elfriede Jelinek „Die Schutzbefohlenen“, das war auch als Buch für uns einer unserer größten Erfolge.
Ist Brecht in Frankreich noch relevant?
Ja, sehr, er wird sehr viel gespielt. Viele Theatergruppen, Laien wie Profis, spielen ihn. Das läuft sehr gut.
Und Eure Hauptarbeit besteht nun in der Lizenzierung der Rechte an Theater? Oder in der Herausgabe der Texte als Bücher?
Beides. Das ist in Frankreich auch eher ungewöhnlich, wir haben eine Agentur und einen Verlag unter einem Dach. Die Agentur vergibt die Aufführungsrechte, der Verlag verlegt auch einige der Texte aus der Agentur in Buchform, aber nicht alle. Da haben wir quasi ein Modell übernommen, das in Deutschland verbreiteter ist als hier. Und ich leite beides, Agentur und Verlag. Zum Glück habe ich hier Mitarbeiter, die die Autoren seit langem gut kennen und hier einen tollen Job machen.
Und wir vertreten einige deutsche Verlage und Autoren exklusiv in Frankreich (also etwa Suhrkamp, Verlag der Autoren, Henschel, Fischer, Rowohlt und andere) – wenn von denen also ein neues Stück herauskommt, prüfen wir es, übersetzen es gegebenenfalls und nehmen es in unser Programm auf. Die Arbeit mit den Übersetzern ist für uns ebenso wichtig – sie sind für uns wie Autoren, wir versuchen, sie konsequent zu fördern, sei es finanziell wie auch in der öffentlichen Wahrnehmung.
Und woher weißt du, wie das alles funktioniert? Du warst ja zuvor nicht so lange im Verlag?
Ich hab das so nach und nach gelernt, sozusagen im Feld. Ansonsten würde man ja auch nichts machen, wenn man immer sagt: Ich weiß nicht, wie es geht, also mache ich es nicht.
Wieviele Bücher macht ihr im Jahr?
20 bis 25. Die meisten davon sind Stücke, der Rest Essays. Wir haben auch mal Brecht-Comics gemacht, aber so richtig hat das nicht funktioniert. Man braucht da ein breiteres Programm, um sich als Comic-Verleger einen Namen zu machen.
Richtet ihr euch mit euren Stücke-Büchern auch an normale Leser oder eher ausschließlich an Theaterleute?
Ja, die meisten sind Theaterleute. Aber das ist meine Mission hier: Ich will alles dafür tun, dass die Menschen hier Theaterstücke lesen und das als Literatur ansehen. Und nicht nur als Script oder als Drehbuch für die Bühne oder als schöne Erinnerung an einen Abend, den man im Theater verbracht hat, sondern eben als eigenständige Literaturform. Theaterstücke haben ja auch immer diesen langweiligen Stempel Schule oder Uni, das würde ich gerne ändern und das Lesen von Stücken attraktiver machen.
Vielleicht hilft da eine Tendenz im Gegenwartstheater zum Dialog, wie etwa bei René Pollesch, wo es weniger um die Inszenierung geht, sondern die Figuren quasi nur auf der Bühne sitzen und reden?
Ja genau, es ist eine Tendenz bei vielen zeitgenössischen Theaterautoren, die entweder Denkflüsse oder herkömmliche Gespräche präsentieren, den Austausch zwischen normalen Menschen, die eben ein Thema besprechen, es ist wie der Dialog-Teil aus einem Roman, nur mit einer anderen Art von Prosa außenrum. Interessant ist wie die "Prosa" bei diesen Autoren dramatisiert wird, in Bühnenanweisungen oder in neuen Formen des Diskurses.
Aber manche Leute fürchten sich eben vor dem reinen Dialog, sie haben vielleicht Angst, dass sie sich den Teil, den eine Inszenierung auf die Bühne bringt, gar nicht selbst vorstellen können, dass ihnen da vielleicht die Fantasie fehlt. Und dass man daher, wie im Roman, eine Beschreibung braucht, die den Dialog einbettet. Für mich ist die beste Inszenierung daher: Talentierte Schauspieler vor einfachem Bühnenbild, die einen den Text einfach ganz direkt erleben lassen und ihm auch vertrauen.
Ist das auch eine aktuelle Tendenz im französischen Theater?
Ja, der Text und die Autoren stehen wieder stärker im Vordergrund. Lange Zeit waren es es ja Regisseure, die wichtiger als der Text waren, das hat in den 1980er und 90er Jahren in Deutschland angefangen. Der Text wurde nur als Material betrachtet, auf einer Ebene mit der Musik oder den Requisiten. Das war zwar hilfreich, um dem Text erstmal das Sakrale zu nehmen, was Theatertexte in Frankreich traditionell lange hatten. Aber jetzt spielen die Autoren wieder eine größere Rolle und werden auch zunehmend in den Produktionsprozess eingebunden. Genau deswegen glaube ich auch, dass jetzt eine gute Zeit für Theatertexte gekommen ist.