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Im Gespräch mit Aimée de Jongh über Graphic Novels in den Niederlanden

Von Daniel Beskos

 

Sind Graphic Novels in den Niederlanden verbreitet? Lesen Erwachsene Comics? Gibt es gar eine Comic-Scene?
Um das rauszufinden habe ich Aimée de Jongh in Rotterdam für ein Gespräch getroffen. Aimée wurde 1988 geboren, ist Comic-Zeichnerin und Illustratorin, außerdem hat sie Animation studiert. Schon mit 17 erschien ihr erster Comicband, inzwischen sind zahlreiche Bücher von ihr erschienen. Ihre jüngste Graphic Novel De terugkeer van de wespendief (Die Rückkehr des Wespenbussards) hat in den Niederlanden gute Resonanz erhalten und wurde auch in andere Sprachen übersetzt. Für eine Studentenzeitung zeichnet sie einen täglichen (!) Comicstrip (was nebenbei auch einen Großteil ihres Einkommens darstellt). Wir treffen uns am Rotterdamer Bahnhof in einem schicken Café und wandern dann zusammen durch die Stadt. Mehr über Aimée auf ihrer Webseite www.iamshotaro.com

 

Aimée, es gibt hier seit langem Comics, aber Erwachsene interessieren sich nicht so sehr dafür, oder? Hat sich das geändert, seit es für "seriösere" Comics die Bezeichnung Graphic Novels gibt?

Ja, ein bisschen, aber auch nur für einen kleinen Kreis von Lesern. Die Vorstellung, dass Comics etwas für Kinder sind, ist einfach noch sehr verbreitet und jeder denkt gleich an Mickey Maus und Donald Duck. Holland ist das einzige Land, in dem es ein eigenes regelmäßiges Magazin über Donald Duck gibt, herausgegeben von Disney. Das ist angeblich für Kinder, aber alle lesen das. Meine Tante ist über 50, und sie hat das im Abo. Wenn ich jemandem erzähle, ich mache Comics, sagen viele: Ah, arbeitest du für das Donald Duck-Magazin? Dabei gibt es so viel mehr, man kann es sogar in den Buchläden kaufen. Aber viele Leute sind dafür einfach nicht offen.

 

Gibt es denn sowas wie Szene von Graphic-Novel-ZeichnerInnen in den Niederlanden?

Ja. Aber das sind nicht so viele, vielleicht 200 Leute, die sich damit in irgendeiner Form professionell beschäftigen. Und die kaufen auch alle gegenseitig ihre Bücher.

 

Und wie bist du zu Graphic Novels gekommen?

Es hat mich schon immer interessiert. Meine Eltern hatten einen Haufen französische und belgische Comics wie Tintin (Tim und Struppi), Spirou und Lucky Luke. Und auch das Zeichnen und Malen hat mich schon immer interessiert, also hab ich angefangen, diese Magazine gelesen. Eigentlich hab ich davon viel mehr gelesen als von "normalen" Büchern. Diese Comics sind immer noch so etwas wie meine erste große Liebe. Als ich dann so 16, 17 war, kam Manga dazu - klar, in dem Alter. Darin ging ich eine ganze Weile sehr auf. Als ich dann etwas älter war, hab ich angefangen, mich für ernsthaftere japanische Underground-Comics wie die von Yoshihiro Tatsumi und Katsuhiro Otomo zu interessieren. Die waren realistisch, düster, handelten vom Krieg und persönlichen Geschichten. Dann hab ich amerikanische und deutsche Graphic Novels entdeckt, die in die gleiche Richtung gehen. Eine der bestverkauften Graphic Novels aus Deutschland ist hier übrigens Vandaag is de laatste dag van de rest van je leven von Ulli Lust.

 

Ach, echt!?
Ja, das ist aber auch großartig.

Wie bist du denn auf die Geschichte vom Wespenbussard gekommen?

Ursprünglich wollte ich eine Graphic Novel machen, die auf William Goldings Lord of the Flies basierte. Es ist eines meiner Lieblingsbücher und ich war immer überrascht, wie wenig Menschen das hier kennen. Alle verwechseln es immer mit Lord of the Rings. Letztlich haben wir aber dann die Rechte für die Adaption von Goldings Buch nicht bekommen. Meine Verlegerin Mara Joustra (vom Verlag Oog & Blik) sagte dann: Denk dir doch eine eigene Geschichte aus, die mit ähnlichen Themen verhandelt. Ich hab mich dann rangesetzt und alles mögliche reingepackt, bis Mara irgendwann sagte: Versuch doch lieber, es schlicht und einfach zu handeln, du musst nicht so viele Themen in einem Buch abarbeiten. Das war sehr hilfreich.

 

Und wie waren die Reaktionen, als das Buch rauskam?

Die waren super. Es kriegte einen ganzen Haufen toller Besprechungen. Aber es ist auch einfach nicht alltäglich, dass hier ein Comic für Erwachsene erscheint. Die Kritiken aus Frankreich dagegen waren gemischter - dort haben sie einfach ein sehr hohes Niveau und es ist keine Neuigkeit mehr, dass man einen Comic für Erwachsene publiziert. Die kritischen Stimmen waren aber sehr hilfreich - als Autor will man ja hören, was noch nicht stimmt, damit man das beim nächsten Mal besser machen kann.

 

Aus: Aimée de Jongh - "Land's End"
Aus: Aimée de Jongh - "Land's End"

 

Bei diesem Buch bist du sowohl für den Text wie auch für die Zeichnungen verantwortlich. Wie fühlt sich diese Doppelaufgabe für dich an?

Ich sehe mich eher als Zeichnerin. Schreiben hab ich ja nie professionell gelernt. Das ist also nicht mein Hauptaugenmerk. Aber natürlich geht es um die Kombination der beiden Aspekte. Man arbeitet ja mit Seiten, und die müssen auf beiden Ebenen funktionieren, textlich und visuell.
Ich habe auch schon mit Autoren gearbeitet, aber das fand ich immer recht schwierig, weil ich deren Texte in Bilder übersetzen musste, das passte nicht immer. Ich selbst fange auch normalerweise erst mit der Zeichnung an, der Text kommt dann hinterher dazu. Das ist für mich der beste Weg, um einen Flow reinzubekommen. Man muss ja auch immer so ein bisschen Regie betreiben: Was passiert, wenn der Leser die Seite umblättert - was sieht er als erstes, wie ist es aufgeteilt?

 

Und woran arbeitest du jetzt gerade?

Lustigerweise arbeite ich momentan doch wieder mit einem Autor zusammen - diesmal allerdings mit Zidrou, einem ziemlich bekannten Comicautor aus Belgien. Er schreibt nur den Text. Und er ist so gut, einige seiner Serien, wie z.B. Tamara, sind Bestseller, aber er macht auch ernsthaftere Sachen.

 

Und er schreibt immer nur die Texte?
Genau, und dann sucht er sich Zeichner, die das für ihn umsetzen. Er hat für mich jetzt ein Szenario von einem rührenden Paar geschrieben, das ich jetzt zeichne.

 

Ist das schwierig, weil es nicht deine eigene Geschichte ist?

Ja, ein bisschen. Aber er schreibt ins Skript genaue Regieanweisungen rein, so von wegen hier ändert sich die Kameraperspektive, die Kamera kommt von unten, man kann den Wind in den Gardinen sehen usw. Ich kann natürlich auch eigene Vorschläge machen, aber ich muss zumindest nicht die ganze Zeit darüber nachdenken, wie es inszeniert wird. Ich verlasse mich einfach auf ihn und konzentriere mich drauf, dass die Bilder gut werden. Nächstes Jahr im Sommer soll es rauskommen, aber ich fange gerade erst an.

Das Lustige ist: Ich kenne seine Sachen schon, seit ich sehr klein war, er ist echt bekannt da. Und trotzdem lief es ganz easy, ich hab den Verleger einfach gefragt: Meinst du, Zidrou hätte ein Szenario für mich? Und er so: Ja, klar, wir rufen ihn einfach mal an. Das wars. Es hat sich rausgestellt: Manchmal muss man einfach nur fragen.

 

 

Einige Tage später war ich dann auch bei Scratch Books zu Gast, einem kleinen neuen Graphic-Novel-Verlag in Amsterdam, die gerade ihre ersten Titel veröffentlicht haben und dafür sehr gute Resonanz bekommen. Vor allem der Band von Erik Kriek - In the Pines (5 Murder Ballads) hat es mir sehr angetan: Alte amerikanische Gruselgeschichten im Folksong-Format, die man zum Teil auch von Nick Cave (Where the wild roses grow) kennt, als Comic umgesetzt, mit einer CD mit den passenden Songs dazu.

 

 

Neben Scratch gibt es in den Niederlanden noch einige weitere Verlage, die sich zumindest teilweise dem Genre Graphic Novel widmen: Die schon erwähnten Oog & Blik, bei denen viele Klassiker von Art Spiegelman bis Guy Delisle erschienen sind, gehören inzwischen zum Publikumsverlag De Bezige Bij; bei Podium sind einige sehr erfolgreiche Graphic Novels von Peter Pontiac erschienen, u.a. Kraut; außerdem haben wir noch die Verlage Oogachtend, Parvenu und Xtra entdeckt.

 

Mara Joustra, die lange für Oog & Blik gearbeitet hat, erzählt uns übrigens eine ganz eigene Theorie, warum Graphic Novels und Comics für Erwachsene in Belgien so ein großes Thema sind, in den Niederlanden dagegen nicht: Belgien ist katholisch und habe eine reiche Bild-Kultur. Dort sei es etwas gutes, Bilder zu haben und zu benutzen. Die Niederlande dagegen sind protestantisch, hier seien Bilder entweder etwas für kleine Kinder oder es seien Symbole, für Menschen, die nicht lesen können oder die Sprache nicht verstehen. Daher täten sich die Niederländer schwer mit Bildergeschichten. Vielleicht was dran. But then again ...


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