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Spider in the web: Victor Schiferli über den Niederländischen Literaturfonds

Von Peter Reichenbach und Daniel Beskos

 

Victor Schiferli, (Foto: Keke Keukelaar)
Victor Schiferli, (Foto: Keke Keukelaar)

Bevor wir uns mit Victor zum Mittagessen treffen, zeigt er uns das Herzstück seiner Arbeit, wenn man so will, nämlich die Bibliothek im Gebäude des Niederländischen Literaturfonds: Ein Raum mit hohen Wänden, bis unter die Decke voller Bücherregale – alle niederländischen Bücher, die je übersetzt wurden. Rundum verläuft eine Empore, damit auch die obersten Bücher erreichbar sind. Die Strenge der modernen Regale und die Bedeutung der Bibliothek haben ein wenig etwas von einer evangelischen Kirche. Die Regale sind jedenfalls fast voll und wir können uns  vorstellen, dass sich Victor und seine Kollegen, wenn sie so weiterarbeiten, bald etwas einfallen lassen müssen.

 

Victor spricht hervorragend Deutsch, was dazu führt, dass wir alle beim Bestellen unseres Essens total durcheinanderkommen, Victor bestellt erst auf Deutsch, dann auf Niederländisch, und wir bestellen erst auch auf Deutsch und dann nochmal auf Englisch. Der Kellner lacht, er hat sowieso alle Sprachen verstanden.

 

Victor Schiferli wurde 1967 geboren, ist Schriftsteller und Dichter und bei der Niederländischen Stiftung für Literatur (Nederlands Letterenfonds) tätig, die sich für die Vermittlung niederländischer Literatur ins Ausland einsetzt. Er hat mehrere Gedichtsammlungen publiziert, bevor 2012 sein erster Roman erschien. Im kommenden Mai erscheint bei dtv die Anthologie Amsterdam, für die Victor Schiferli die Auswahl getroffen hat.

 

 

 

 

Victor, die Frankfurter Buchmesse rückt immer näher und du bist auch Teil des Organisationsteams?

Ich glaube, ich bin der einzige, der schon beim ersten Gastlandauftritt 1993 dabei war. An 1993 erinnere ich mich noch gut, ich war damals 25, der jüngste Mitarbeiter, ich hätte eigentlich meinen Armeedienst leisten müssen und hatte schon einen Einzugsbescheid. Ich habe dann verweigert und konnte stattdessen durch Zufall bei einer Stiftung mitarbeiten und dort bei der Herausgabe eines Literaturalmanachs helfen. Und ja, das war natürlich sehr beeindruckend für mich, das erste Mal auf der Buchmesse zu sein, mit Harry Mulisch, Cees Nooteboom, Hugo Claus, all diese großen Namen … Und jetzt gibt es eine neue Generation zu entdecken, und da bin ich sehr glücklich, dass wir viele junge Autoren haben, die einen Verlag in Deutschland gefunden haben, mit Thomas Heerma van Voss, Joost de Vries, Wytske Versteeg … und vielen anderen.

 

Der Letterenfonds organisiert ja nicht nur den Messeschwerpunkt, sondern fördert auch ansonsten Übersetzungen. Wie läuft so etwas ab, werden alle Übersetzungen gefördert?

Nein, es gibt unterschiedliche Prozentsätze. Mit bis zu 70% der Übersetzungskosten werden Belletristik, Sachbuch, Lyrik, Kinderbuch usw. gefördert. Und mit 50% fördern wir Bücher die wir gerne fördern wollen, die aber weniger literarisch sind, vielleicht eher kommerziell ausgerichtet sind. Das sind auch die Fälle, die wir am meisten diskutieren, also Bücher, die eher Unterhaltung sind. Da gab es vor kurzem etwa den Fall, dass ein großer Verlag aus den USA ein Buch fördern lassen wollte, für das sie eine sehr gute Übersetzerin engagiert hatten, das aber doch eindeutig eher Unterhaltung als Literatur war. Da konnten wir uns dann aber auch auf eine 50%-Förderung einigen.

Natürlich gibt es auch Bücher die wir gar nicht fördern, aber das sind meistens auch die Bücher, die eigentlich auch gar keine Förderung brauchen. Zweimal im Jahr geben wir auch die Broschüre Books from Holland heraus, einmal zur Londoner Messer und einmal für Frankfurt, aber wir würden natürlich nicht nur diese Bücher im Falle einer Übersetzung fördern, sondern eigentlich fast alles, auch in alle Sprachen. Was uns aber wichtig ist, ist dass die Übersetzung gelungen ist. Deshalb überprüfen wir auch Übersetzungen, ich denke das ist relativ einzigartig.

 

Interessant, wie genau können wir uns eine solche Prüfung vorstellen?

Also für Deutschland z.B. haben wir eine Liste mit Übersetzern, da sind etwa 20 oder 30 Namen drauf, von denen wir wissen, dass sie sehr gute Arbeit machen. Und diese Übersetzer werden in der Regel auch von den Verlagen beauftragt. Ab und zu gibt es einen Verleger, der sich einen bestimmten Übersetzer wünscht, der nicht auf unserer Liste steht. Bevor wir ein solches Buch fördern, prüfen wir die Übersetzung. Das machen wir natürlich nicht selber, sondern lassen das Buch dann von ein oder zwei sehr erfahrenen Übersetzern begutachten. Dann gibt es zwei Szenarien, das eine Szenario ist, dass die Übersetzung okay ist, dann fördern wir das Buch. Oder aber es gibt Mängel. Was z.B. oft passiert, ist, dass die Sprache zu nah am Original ist. Insofern ist unsere Prüfung nicht schlecht, weil man dann nachbessern kann. Es gibt aber auch den Fall, dass eine Übersetzung wirklich so schlecht ist, dass der Text komplett neu übersetzt werden muss, dann sagen wir dann auch. Aber ein Verlag will ja auch keine schlechten Bücher im Programm haben.

Aber die Übersetzung und die literarische Qualität des Buches sind nicht alleine entscheidend, wir gucken uns auch den Verlag an, in dem das Buch erscheinen wird. Es gibt ansonsten aber kein Komitee, wir kennen einfach die Verlage hier, die Verlage im Ausland und die Übersetzer sehr gut, um das beurteilen zu können. Wir sind ein wenig die Spider in the web. Aber das wir etwas ganz und gar ablehnen, das kommt nicht oft vor.

 

Und genau das ist jetzt auch dein Arbeitsbereich, richtig?

Ja, meine Haupttätigkeit ist es, niederländische Belletristik im Ausland zu empfehlen, zu fördern und die Übersetzungen zu betreuen. Das bedeutet, die Kontakte mit den Verlegern und den Übersetzern hier in den Niederlanden und im Ausland zu pflegen. Ich bin dabei verantwortlich für den deutschen, den englischen und den skandinavischen Sprachraum. Neben mir gibt es noch meine Kollegin Barbara den Ouden, die vor allem Graphic Novels macht, und auch die anderen Länder im Bereich Belletristik verantwortet, und wir haben noch einen Kollegen für Sachbücher, einen für Kinderbücher und noch eine für Lyrik.

 

Wie würdest du sagen hat sich die Literaturlandschaft, sagen wir seit 1993, in den Niederlanden verändert?

Mmh, also die 90er Jahre waren auch bei uns die Jahre der Überproduktion. Es gab einfach viel zu viele Bücher. Danach gab es dann eine Krise, die eigentlich bis heute andauert, obwohl es aktuell wieder ein bisschen besser zu werden beginnt. Und, nun, es gab kein Internet! Ich glaube ich hatte 1993/94 aber schon ein Modem, obwohl das natürlich noch so langsam war, damit konnte man eigentlich nichts machen. Die Zeiten waren auf jeden Fall andere. Jetzt geht alles sehr viel schneller, auch wegen des Internets, und es ist auch einfacher ein Buch zu schreiben, glaube ich.

 

Und wie schätzt du das ein, lesen die Leute mehr oder weniger?

Mmh, das weiß ich nicht. Was man immer wieder hört, ist, dass eigentlich nur noch Frauen ab 40 oder 50 Jahren lesen. Und dann gibt es nur noch ein paar intellektuelle Typen (lacht). Ohje, jetzt klinge ich wie ein grumpy old man, aber als ich in die Schule gegangen bin, da haben wir 25 Bücher der niederländischen Literaturgeschichte gelesen und ein Examen darüber ablegen müssen. Dazu noch deutsche, französische und englische Bücher, eine wirklich große Menge an Büchern. Jetzt ist das alles anders, jetzt werden höchstens ein paar Bücher aus den Niederlanden gelesen. Das ist schon schade.

Ich habe auch an der Universität einen Creative-Writing-Kurs gegeben. Und die Texte waren zum Teil wirklich voller Fehler. Und da habe ich mich schon gefragt: Diese Leute wollen Schriftsteller werden? Wenn jemand Maurer werden will, dann kann ich das verstehen, aber warum schreibt man so fehlerhaft, wenn man Schriftsteller werden will? Also das hat auch etwas mit dem Unterricht in der Schule zu tun.

 

Wir stellen uns das überhaupt recht schwierig vor, Literatur in andere Länder zu vermitteln. Wie machst du das, was sagst du den Verlegern wenn sie fragen, warum sie ausgerechnet Literatur aus den Niederlanden verlegen sollen?

Nun, es ist wie bei Musik, man kann vorher nicht sagen, was ein Hit werden wird und was nicht. Das können wir auch bei Büchern nicht, es lässt sich nicht sagen, dass das eine Buch besser ist als das andere. Man steckt einfach nicht drin. Joost de Vries etwa, habe ich wirklich mit viel Herzblut angepriesen, ein sehr gutes Buch. Aber es ist mir einfach nicht gelungen, einen Verlag im Ausland davon zu überzeugen. Später hat es eine Agentur versucht und plötzlich, ich glaube innerhalb von zwei Monaten, war das Buch in 12 oder 13 Länder verkauft. Ja, so kann es manchmal gehen, richtig erklären kann man das nicht. Aber natürlich bin ich sehr glücklich, dass das Buch übersetzt werden wird.

Was ich überhaupt spannend finde an meinem Beruf, ist, dass ich immer einen Überblick auch über die Literaturlandschaft der anderen Länder haben muss, wie ein Helikopter, also gibt es in einem bestimmten Land etwa schon vergleichbare Autoren wie denjenigen, den ich gerade vermitteln möchte? Und das gleiche gilt für die verschiedenen Genres, etwa bei einem Coming-Of-Age-Roman, von denen es sehr viele gibt. Da muss man sich fragen, ob die vorliegende den ganzen anderen schon existierenden  noch etwas hinzufügen kann. Man fängt an, sehr abstrakt über Bücher nachzudenken, wenn man ein Botschafter der Literatur ist. Und das mag ich.

 

 

 

 

 


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