Von Daniel Beskos
Niña Weijers, geboren 1987 und aufgewachsen in Nijmegen, hat mit ihrem Debüt De consequenties in den Niederlanden für Aufsehen gesorgt. Es wurde etwa 15.000 Mal verkauft und mit diversen Preisen ausgezeichnet, außerdem stand sie auf der Shortlist für den Libris Literatuur Prijs (den wichtigsten niederländischen Literaturpreis) und für den Gouden Boekenuil (einen wichtigen Preis in Belgien). Im Herbst 2016 erscheint es in der Übersetzung von Helga von Beuningen im Suhrkamp Verlag. Ich habe die Autorin in Amsterdam zum Gespräch getroffen.
Niña, dein Buch gibt es ja noch nicht auf Deutsch, bitte sag uns doch mal, worum es darin geht.
Mein Buch erzählt von einer jungen Künstlerin, Minnie Panis. In ihrer Kunst geht es immer um den Zusammenhang zwischen Kunst und Leben, sie baut ihr Leben in ihre Kunst ein. Für ihr neues Projekt
beauftragt sie einen Fotografen, der ihr für einige Wochen unbemerkt folgen und ihr Leben fotografieren soll. Parallel wird die Geschichte ihrer Kindheit erzählt - sie wurde als extremes Frühchen
geboren, es war lange nicht klar, ob sie es schaffen würde, sie wurde lange Zeit überwacht, ihre Lebensfunktionen wurden kontrolliert. Und ich habe mich gefragt: Was für eine Person könnte aus
diesem Baby werden? Offenbar ist das für sie etwas, das sie noch immer mit sich herumträgt, auch in ihrer Kunst: Dieses ständige Beobachtet- und Überwachtwerden. Das Experiment mit dem Fotografen
wird dann allerdings noch ziemlich gefährlich. Es geht also viel darum, wie wir die Unterscheidungen zwischen "authentisch" und "künstlich" treffen.
Wie lange hast du am Buch gearbeitet?
Insgesamt vielleicht drei Jahre. Aber ich habe nebenbei noch in einem Kulturzentrum gejobbt. Es war auch nicht leicht, tagsüber zu arbeiten und nachts dann zu schreiben. Den größten Teil des
Buches habe ich in Berlin geschrieben. Ich kenne da jemanden, bei dem ich immer für einige Wochen unterkommen konnte.
Und wusstest du vorher, dass ein Verlag Interesse haben würde?
Ja, da hatte ich Glück. 2010 hatte ich den Write Now!-Preis gewonnen, mit einer Kurzgeschichte. Die Verlage kucken sehr auf diesen Preis. Ich war 21, ich hatte Literatur studiert, aber
ansonsten keine Ahnung von der Branche, ich wollte einfach schreiben. Aber ich habe mich einfach mit einigen Lektoren getroffen, und hatte das Glück, in Tilly Hermans eine sehr tolle Lektorin
gefunden zu haben. Mit ihr konnte ich großartig über mein Projekt sprechen. Sie sagte: Mach langsam. Wir veröffentlichen dein Buch, aber nimm dir Zeit. Ich musste aber erst lernen, wie
man überhaupt schreibt.
Du hast keine Schreibkurse oder so gemacht?
Nein, ich mochte es aber sehr, einfach rumzuprobieren. Das hat das Ganze natürlich auch sehr langsam gemacht, ich hab viel Müll produziert. Aber als es dann wirklich konkret wurde, habe ich für
das Buch vielleicht sechs Monate gebraucht. Die Zeit davor musste ich erst rausfinden, was ich da überhaupt machte. Es hat mir schon Druck gemacht, bereits einen Vertrag im Nacken zu haben. Aber
Tilly war auch sehr geduldig und verständnisvoll.
Und das Buch ist ja auch sehr gut angenommen worden, nicht?
Ja, im Rückblick kann man ja immer sagen, dass alles gut geklappt hat. Aber währenddessen war es wirklich furchtbar. Ich habe immer rumerzählt: Ja, ich schreibe ein Buch und so weiter. Und dann
sitze ich zu Hause am Tisch und denke: Meine Güte, ich hab keine Ahnung, wie das geht. Und das Thema ist ja auch etwas speziell, mit der Kunsttheorie und allem, ich hätte nicht gedacht, dass sich
so viele Leute dafür interessieren würden.
Mit welchen Reaktionen aufs Buch hattest du denn gerechnet?
Ich hatte keine Vorstellungen. Ich hatte gehofft, dass es ein paar Besprechungen geben würde. Aber ansonsten: Nee. Ich wusste nur: Ich habe das beste Buch geschrieben, das mir zu der Zeit möglich
war. Was immer damit dann passieren würde, ich hätte damit gut leben können. Aber das liegt dann eben nicht mehr in meiner Macht, was da passiert.
Was dann seltsam war, war, dass sich schnell eine bestimmte Haltung in den Kritiken einstellte, so nach dem Motto Sie eroberte die Literaturszene im Sturm oder so. Was natürlich Quatsch
ist, ich war ja nicht auf einmal da und habe gerufen: Hier bin ich! Ich habe ja vorher schon jahrelang geschrieben. Und dieses Bild passte auch nicht zu meiner echten Lebenssituation. Es
kam dann vor, dass ich ein Interview zu meinem überwältigenden Erfolg gab und danach kein Geld hatte, um den Zug für die Heimfahrt zu bezahlen.
Dein Buch wird jetzt auch ins Deutsche übersetzt?
Ja, und ins Französische, Englische und Tschechische.
Wahnsinn. Englisch ist besonders gut, dann können alle anderen Länder dein Buch auch in voller Länge lesen.
Ja, das stimmt. Das ist super. Aber es dauert noch, bis das rauskommt.
Bist Du eigentlich in Amsterdam aufgewachsen?
Nein, in Nijmegen. Aber dort musste ich irgenwann weg. Ich wollte einfach, dass in meinem Leben etwas passiert, und ich wusste, dazu musste ich hier nach Amsterdam kommen - wie so viele Menschen,
die hier hergezogen sind, um etwas zu finden, und um sich gegenseitig zu finden. Es gibt also logischerweise eine große Literaturszene hier. Es gibt andererseits auch Autoren, die sich bewusst
davon fern halten wollen und irgendwo in der Provinz leben. Die beschweren sich dann aber auch oft, dass so viel Augenmerk auf den Amsterdamer Autoren liegt.
Würdest Du sagen, es gibt eine gute Förderstruktur für Autoren in den Niederlanden?
Ja, aber auch hier gibt es massive Kürzungen und es gibt viele Autoren, mit denen man um die Stipendien konkurriert. Es gibt zum Beispiel eine Fördermöglichkeit fürs erste Buch, die
bekommen vielleicht 10% der Autoren, die sich dort bewerben.
Wie wäre es, wenn es eine Art bedingungsloses Grundeinkommen für Künstler gäbe?
Es gab sowas tatsächlich für bildende Künstler, aber das wurde vor zwei Jahren gestrichen. Das hat vor allem diese Künstler jetzt in eine schwierige Lage gebracht. Es gibt einfach jede Menge
Kunsthochschulen und damit also auch viel zu viele ausgebildete Künstler. Autoren gibt es vielleicht gar nicht soo viele, und außerdem können sie immer noch nebenbei als Lektoren, Journalisten,
Texter und so weiter arbeiten.
Sind Autorinnen denn ausreichend repräsentiert?
Es ist komisch - das Publikum besteht ja meistens vor allem aus Frauen. Und ich glaube, auch meine Leserinnen sind mehrheitlich weiblich und älter als 50. Vielleicht lesen Frauen einfach auch
sehr übergreifend. Für Männer dagegen ist es viel ungewöhnlicher, weibliche Autoren zu lesen. Die männliche Perspektive wird eben immer noch als die universale angesehen, ebenso die weiße,
mitteleuropäische. In der Kritik ist das ja genauso. Ziemlich altmodisch.
Die Kritiker sind aber auch sehr engstirnig hier. Sobald etwas nicht eindeutig als Erzählband oder Roman zu erkennen ist oder nicht genau einem bestimmten Genre zugeordnet werden kann, vielleicht
formal ungewöhnlicher ist, wenn sie also verwirrt sind, heißt es gleich: Es ist kein gutes Buch, weil es sich nicht entscheiden kann. Aber wir leben doch nicht im 19. Jahrhundert -
gerade den Büchern, die nicht so eindeutig sind, gehört doch die Zukunft.
Lesen die Leute denn allgemein weniger, fehlt ihnen der Zugang?
Sobald etwas nur den Hauch von Hochkultur hat, drehen sich alle weg. Die Leute wollen einfach unterhalten werden mit einer guten Geschichte, es soll am besten auch ein bisschen emotional werden,
man sollte eine Träne verdrücken können. Sie wollen im Wesentlichen zur Entspannung lesen, und nicht, um zu denken oder etwas zu lernen. Sie haben aber auch immer weniger Zeit, es gibt so viel
anderes zu tun, Serien kucken usw. Es ist wahrscheinlich kein neues Problem, aber besser wird es jedenfalls nicht. Mein Buch ist jetzt auch nicht unbedingt Hochkultur, aber trotzdem umso
erstaunlicher eigentlich, dass es so viel gelesen wurde. Wir sollten unsere Leser vielleicht doch nicht unterschätzen.
Wenn Dein Buch in Deutschland rauskommt, kannst du dich schon mal drauf freuen, lange Lesungen zu geben. Die Deutschen finden sowas ja gut, im Gegensatz zu den Niederländern, die nach 5
Minuten ihre Smartphones rausholen.
Ja, das hab ich schon gehört. Der Suhrkamp-Lektor Raimund Fellinger hat gesagt, dass sie dann einen Schauspieler anheuern, der die deutschen
Parts liest. Absurd.
Ja, das ist in Deutschland so üblich.
Witzig. Bist du eigentlich zur Buchwoche im März noch hier?
Nein, leider nicht.
Ah, schade. Die beginnt mit dem berühmten Boekenbal.
Davon erzählen alle. Aber will man da hin? Das hört sich für mich nach einer Hollywood-Gala an, mit rotem Teppich?
Ja, und nein. Natürlich ist es da total übertrieben. Und alle tun so, als fänden sie es schlimm, aber dann will doch jeder hin. Es ist dann auch immer viel zu schnell vorbei. Und man muss seine
Getränke selbst bezahlen, was ich sehr fragwürdig finde.