Wir tanzen im Club, bei Hochzeiten, auf WG-Partys, allein zu Hause im Pyjama; gehen ins Ballett, in die Oper, zum Modernen Tanz; wir verbinden das Tanzen mit Lebendigkeit, Leichtigkeit oder Ekstase.
Die Herausgeber*innen Maximilian Probst (Journalist und Autor) und Ursina Tossi (Choreograph*in und Tänzer*in) erkunden gemeinsam mit 14 Autor*innen das Philosophische des Tanzens. Sie nehmen
Friedrich Nietzsche mit in den Club oder laden Judith Butler auf Tanzperformances ein. Auf verschiedenen Wegen nähern sie sich der Frage an, was das Tanzen schon von Kindesbeinen an
so besonders macht und wie Tanzende Identitäten ausloten, ausprobieren und definieren können. Die Beiträge zeigen auf, warum Tanzen immer politisch ist und oft utopisches Potential birgt – und
fragen, was aus dem Anspruch des Tanzes, Avantgarde zu sein, geworden ist.
Zum Erscheinen von »Die Philosophie des Tanzens« haben wir uns mit den beiden Herausgeber*innen getroffen und über Parallelen von Tanz und Philosophie gesprochen, über die Orte des Tanzens und darüber, dass einen Ballett wie auch Head-Banging in den Bann ziehen kann.
»Die philosophie des tanzens«: Im Gespräch mit ursina Tossi und Maximilian Probst

Ursina, du bist Tänzerin und deshalb ist es natürlich klar, dass du dich fürs Tanzen interessierst, aber auch für Philosophie?
Ursina: Ich bin Tänzer*in geworden, weil ich einfach als junger Mensch ein Zuviel an Energie hatte. Es ging erst einmal um die pure Bewegung und als ich dann eine
Tanzausbildung anfing, habe ich dafür ein Philosophiestudium abgebrochen. Tanzen, Studieren und alleinerziehend sein ging nicht gleichzeitig. Als die Frage von Max kam, ob ich Lust habe,
Mitherausgeberin dieses Buchs zu sein, ist für mich einer meiner Träume in Erfüllung gegangen. Philosophie hat mir tatsächlich schon immer Orientierung gegeben, hat mich beim Lesen irgendwie
beruhigt, hat Ordnung in meinen Gedanken geschaffen. Philosophie als Produktion von Begriffen ist für mich wie »Kunst machen«. Und dann ist es noch so, dass es mir immer ein bisschen leichter
fällt, in einer anderen Disziplin oder Sprache zu sprechen als in der eigenen.

Und Max, bei dir ist es andersherum, du bist Philosoph, aber was interessiert dich am Tanzen?
Max: Mich hat am Tanz immer die Körperlichkeit interessiert. Dieses Gefühl: Im Tanz zeigt sich etwas ganz Grundlegendes. Du kannst ja noch so viel gelesen und Wissen
angehäuft haben und reiner Geist zu sein versuchen und so gut es geht die Welt aufschlüsseln, aber am Ende steckst du doch in deinem Körper und bewegst dich mit ihm durch verschiedene Räume. Und
der Tanz zeigt, in welche Abenteuer sich der Körper dabei verwickelt. Das fand ich immer spannend und anziehend.
Warum passen diese beiden Themen überhaupt zusammen: Tanz und Philosophie?
Ursina: Das steht im Buch auf Seite …. :)
Grundsätzlich würde ich sagen, die Themen passen zusammen, weil beide Disziplinen mit Formen hantieren und beide dabei so körperlich sind (wenn man die Analytische Philosophie mal weglässt). Im
Tanzen geht es darum, sich in Bewegung einer Form zu nähern, sie zu de-konstruieren, vielleicht zu sprengen, sie überhaupt erst zu finden. In der Philosophie geht es um die Kontexte der Form,
darum, was die Form formt. Bei beiden Disziplinen geht es darum, den Bewegungsraum als Möglichkeitsraum zu vergrößern; es geht also um Freiheit.
Max: Eigentlich sind beide ja erstmal ziemlich entgegengesetzt: Philosophie ist Lesen, Schreiben, Reden – Tanz ist Springen, Laufen, Gestikulieren. Aber dann sind sich beide auch wieder ganz nah, beiden geht es um Bewegung, wie Ursina gerade sagte: Philosophie ist die Bewegung der Gedanken, Tanz die Bewegung des Körpers. Aber das ist sehr schematisch, und bei näherem Hinsehen kommt die Philosophie genauso wenig ohne das Körperliche aus wie der Tanz ohne Begriffe auskäme. Tanzen und Philosophie passen also auch deshalb zusammen, weil sie gegenseitig ihre blinden Flecke ausleuchten.
Ihr habt ja gemeinsam »Die Philosophie des Tanzens« herausgegeben, sprich, gemeinsam Autor*innen für die Anthologie ausgewählt. Worauf habt ihr bei der Auswahl der Autor*innen geachtet?
Ursina: Mir war es wichtig, dass das Buch eine gewisse Vielstimmigkeit erreicht. Dass Tanzkünstler*innen und Menschen aus der Praxis einen Platz im Buch bekommen, um das Wissen, das in der Praxis des Tanzens entsteht, erfahrbar zu machen. Aber es ging mir nicht nur um möglichst verschiedene Tanzstile, sondern auch um Tanzkulturen und um das Auffächern des Begriffs des Tanzens als einen künstlerischen.
Max: Ich fand es gar nicht leicht, Leute zu finden, die philosophisch an den Tanz herangehen. Tanz ist ja ein totales Randthema der Philosophie, das Nachdenken darüber ist bislang nicht sehr weit gekommen. Wir wollten mit der Auswahl der Autorin*innen auch möglichst viele Richtungen andeuten, in denen sich weiterdenken lässt.
Fotos und Gestaltung: Carolin Rauen

Und was hat euch selbst an den Texten im Buch überrascht?
Ursina: Dass die Beiträge ineinandergreifen, dass ich beim Lesen tatsächlich eine Reise durch völlig unterschiedliche Räume mache. Manchmal wird es sehr intim, manchmal sehr abstrakt und dann wild – dann beruhigt es sich wieder. Jacques Derrida entwickelt die These, dass jeder Text als eine Art Brief gelesen werden kann – er ist adressiert, unterwegs, trägt Spuren von Absender*in und Empfänger*in. Wenn mensch Freund*innen und Kolleg*innen nach Texten fragt, schreiben sie Briefe, das ist wunderschön.
Schon in der Einleitung schreibt ihr darüber, dass ihr in dem Buch auch die Orte des Tanzens aufsucht. Was für Orte sind damit gemeint?
Max: Bertha Bermudez fliegt nach Venezuela, um ein Tanzarchiv aufzusuchen, Greta Taubert und Sebastian Matthias reisen durch Clubs, Orly Almi und Linda Hayford beginnen in der Küche mit dem Tanzen. Tanzen ist diesseitig. Tanzen dehnt sich im Raum aus. Tanzkulturen entstehen in Räumen, an Orten, wo Menschen sich begegnen. Dies Orte wollten wir sammeln und erweitern durch abstrakte Räume, Zeiträume, wie die Kindheit, wie Erinnerungen an eine bestimmte Zeit.

Habt ihr einen Ort, an dem ihr persönlich besonders gerne tanzt?
Ursina: Allerorts - nur ist das Tanzen überall etwas anderes. Ich mag das Verstecken von Tanz, das Tarnen des Tanzens als hibbelig sein wie zum Beispiel in deinem Beitrag, Max. Ich kenne das aus Situationen, in denen ich einen inneren Tanzschub kriege und niemand ist da zum Tanzen, Tanzen wäre vielleicht sogar unpassend in dieser Situation, da müssen dann Kanäle her, Blitzableiter oder so. Ich tanze gerne auf der Bühne, weil ich dann nicht ich bin, da habe ich Urlaub von mir selbst. Auf einer Party tanze ich nicht, das ist Arbeit.
Max: Ich tanze schon sehr gern im Freundeskreis, wenn ich den jetzt mal als Ort deklarieren darf. An diesen Abenden, an denen sich ein gutes Gespräch in einen ausgelassenen Tanz erweitert.
Welcher Tanz fasziniert euch am meisten und warum?
Ursina: Im Buch ist es der Unterwassertanz. Ich habe es selbst nicht ausprobiert, aber an die Grenze des Atems zu gehen, scheint mir extrem reizvoll und beängstigend gleichzeitig. Das Bild von Bill Viola, das Natalia Wilk in ihrem Beitrag in Erinnerung ruft, die Unterwasserwelt in einem Moment des Schocks – großartig! Aber welcher Tanz von all den Tänzen mich am meisten fasziniert, das kann ich echt nicht sagen. Wenn ich allerdings an meinen Tanz denke, findet davon viel am Boden statt, auf allen vieren, begleitet von kreatürliche Bewegungen, viel Berührung und Emotionen.
Max: Ich hab da keine Präferenzen. Von Ballett bis Head-Banging kann mich jede tänzerische Bewegung in den Bann ziehen, wenn ich dafür gerade empfänglich bin.
Und abschließend: Wann habt ihr denn zuletzt getanzt?
Ursina: Heute morgen direkt nach dem ersten Kaffee. Ich tanze manchmal direkt nach dem Aufstehen, um gute Laune zu provozieren.
Max: Eine Nichte von mir macht Ballett, sie hat mir am Wochenende ein paar Bewegungen vorgemacht – und ich hab sie zu ihrer Verblüffung nachgetanzt.

Philosophie des Tanzens – Maximilian Probst, Ursina Tossi (HG.)
240 Seiten
24 Euro
ISBN 978-3-948722-50-0
Weitere Informationen sind hier zu finden.
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