Macht ist allgegenwärtig, auch wenn wir uns dessen nicht immer bewusst sind. Und doch spielt sie fast überall eine Rolle, auch in ganz persönlichen Beziehungen und Gesprächen zwischen zwei Menschen und in der Art und Weise, wie wir uns selbst und andere wahrnehmen.
In der aktuellen Ausgabe des SPRING-MAGAZINS beschäftigen sich die 14 Illustratorinnen mit Macht in all ihren Formen. Ihre Geschichten handeln vom Umgang mit Ohnmacht, vom Sichtbarmachen von Machtverhältnissen und vom Weg in die Selbstermächtigung. In den Beiträgen erzählen sie von der Macht der Stimme, von der Macht des Geldes und vom weiblichen Kampf als Kraftprobe zwischen den Geschlechtern. Sie fragen sich, wie der Begriff der Hysterie für die Beherrschung weiblicher Lust missbraucht wurde und wie die ständige Wiederholung von Rollenbilden in den sozialen Medien den Weg für eine Rückkehr des Patriarchalen ebnet. Fantasievoll, kreativ und radikal denken sie darüber nach, wie das mit der Macht wohl alles angefangen haben könnte – und wie man es beendet.
Von Julia Korbik
Letztens hörte ich ein Podcast-Gespräch zwischen zwei Frauen, deren claim to fame vor allem darin besteht, dass sie mit erfolgreichen und bekannten Männern verheiratet sind: die eine mit einem Tech-Unternehmer, die andere mit einem Lifestyle-Guru. Warum ich mir diese Folge überhaupt anhörte? Ein Rätsel. Vielleicht hoffte ich, die beiden Frauen würden mir sagen, wie ich mein Leben anders, besser gestalten könne. Doch das Gespräch plätscherte dermaßen banal vor sich hin, dass ich schon fünf Minuten nach Ende der Folge nicht mehr hätte sagen können, worum es dabei eigentlich ging. An einen Satz aber erinnere ich mich noch genau: Sie würde, so die Moderatorin, jeden Tag Frauen empowern. Jeden Tag! Ich lachte unwillkürlich auf (Empowerment wodurch? Durch triviale Gespräche mit anderen privilegierten Frauen?) und stellte mal wieder fest: Obwohl in »Empowerment« der Begriff »Power« drinsteckt, hat das Ganze kaum noch etwas mit Macht zu tun.
Das war mal anders. Seine Wurzeln hat das Empowerment-Konzept unter anderem in der marxistischen Soziologie und der amerikanischen Gemeindepsychologie der 1970er und 1980er. Letztere zielte darauf ab, marginalisierte Bevölkerungsgruppen zu stärken und so ihre Situation zu verbessern. Es ging um Hilfe zur Selbsthilfe, um Eigenverantwortung und darum, sich gegen Bevormundung zu wehren: Benachteiligte Menschen und Gruppen sollten auf Basis ihrer eigenen Stärken und Rechte ihr Leben selbst gestalten können. Doch Empowerment, vor allem das extrem beliebte Female Empowerment™, hat sich des Gemeinschaftsaspekts des ursprünglichen Konzepts entledigt und daraus eine individualisierte Strategie gemacht, bei der es nur um das Ich geht. Um etwas, das jeder Mensch bzw. jede Frau für sich selbst tut.
(Female) Empowerment klingt wunderbar vieldeutig und vage. Es kann nahezu alles bedeuten: Lippenstift zu tragen kann empowernd sein, genauso wie keinen Lippenstift zu tragen. Sich dem male gaze zu verweigern, kann genauso empowernd sein, wie in knapper Kleidung auf Instagram zu posieren. Schönheitsoperationen können empowernd sein, Falten aber auch. Und so weiter und so fort. Empowerment ist verführerisch, weil es einzelnen Menschen oftmals nicht mehr abverlangt als herausfordernde Posen, individuelle Akte der Provokation – und Kaufkraft. Denn weil Empowerment alles und nichts bedeuten kann, irgendwie feministisch klingt, aber nicht zu sehr, eignet es sich hervorragend, um damit Geld zu machen. Vorwiegend, indem Mädchen und Frauen per Werbebotschaften vermittelt wird, dass sie alles erreichen können und »es« selbst in der Hand haben. Dafür müssen sie lediglich dieses oder jenes Produkt kaufen: eine bestimmte Tampon-Marke beispielsweise oder eine Bodylotion. Die US-amerikanische Autorin Andi Zeisler nennt das »Empowertising«: »eine Werbetaktik, die dafür sorgt, dass in jedem Akt exklusiven, unabhängigen Konsums ein bisschen Feminismus mitschwingt.«1 Was so am Ende vom Empowerment-Konzept übrigbleibt, ist eine leere Hülle. Ein gutes Gefühl. Etwas, das Macht lediglich suggeriert. Weder erhalten Menschen dadurch Macht noch werden die gesellschaftliche Form und Verteilung von Macht kritisiert. Empowerment schwindelt Frauen vor, dass es reicht, sein eigenes Ding zu machen und fleißig zu konsumieren. Dass es nicht nur für sie als Einzelperson toll ist, wenn sie sich empowert fühlen, sondern Frauen allgemein hilft.
Ich merke, ich klinge zynisch. Dabei mag ich eigentlich den Gedanken, der hinter Selbstermächtigung steckt: Wie oft habe ich mich nach einer Veranstaltung oder einem Austausch mit anderen feministisch bewegten Menschen bestärkt gefühlt, motiviert und als Teil einer Gemeinschaft. Man könnte sagen: Ich fühlte mich empowert. Doch dieses Gefühl hatte nichts mit Individualismus und Konsum zu tun – im Gegenteil. Was zeigt, dass Empowerment als feministisches Konzept noch Potenzial besitzt. Dafür aber muss es re-politisiert werden. Denn die aktuell sehr beliebte, konsumorientierte und vermeintlich feministische Version von weiblichem Empowerment macht uns nicht mächtiger: Sie macht uns ohnmächtiger.
Und: Sie fokussiert sich nur auf einen winzig kleinen Aspekt von Macht. Dabei kann der Begriff vieles bedeuten, er ist komplex und vielschichtig. Das zeigt auch diese SPRING-Ausgabe, in der das Thema MACHT aus verschiedensten Blickwinkeln erforscht, gedacht und reflektiert wird. Mal ist Macht politisch, mal persönlich (oder irgendwie beides, denn: The Personal is Political). Was sie aber nie ist? Unkompliziert. Eindimensional. Schon gar nicht in dieser Ausgabe, in der Macht in all ihren Facetten schillert.
1 Andi Zeisler (2017): Wir waren doch mal Feministinnen. Vom Riot Grrrl zum Covergirl – Der Ausverkauf einer politischen Bewegung, Rotpunktverlag, Zürich, S.37.
Spring: Die Künstlerinnen
Die Künstlerinnen-Gruppe SPRING wurde 2004 in Hamburg gegründet. Seitdem erscheint jeden Sommer ein neuer Band der Anthologie, der die unterschiedlichen Arbeiten aus den Bereichen Comic, Illustration und freier Zeichnung zu jeweils einem Thema bündelt. Die Gruppe besteht seit Beginn ausschließlich aus Frauen und ist mittlerweile ein solides und wichtiges Netzwerk für Zeichnerinnen in Deutschland.
Die aktuelle Ausgabe mit Illustrationen, Comics und Texten von: Büke Schwarz, Colo Kraft, Doris Freigofas, Julia Bernhard, Katharina Kulenkampff, Mia Oberländer, moki, Nele Brönner, Nina Pagalies, Romy Blümel, Stephanie Wunderlich, Ulrike Steinke
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Julia Ludewig (Montag, 28 Oktober 2024 14:08)
Ich bin ein langjähriger Fan des SPRING Magazins. Leider konnte ich die letzte Ausgabe nicht physisch bekommen, aber das freundliche mairisch-Team hat mir geholfen. Nun komme ich also doch in den Genuss dieses Ausnahmemagazins. Ich bedanke mich bei mairisch sowohl für die konkrete Hilfe als auch dafür, dass der Verlag uns mit so zuverlässig mit hochwertigen Büchern versorgt. Mit den besten Wünschen für die Zukunft, Julia Ludewig