Was war das für ein schönes, rauschendes Fest!
Am 20. April fand im Hamburger Nachtasyl unsere ZIEGEL-Release-Feier statt. Natürlich war, passend zum diesjährigen Cover, die Farbe Pink das Motto. Von pinken Rote-Beete-Chips, Teelichtschablonen, Grapefruit-Vodka, Fingernägeln bis hin zum pinkem Licht. Aber nicht nur das, denn wir hatten für die Feier ein Maskottchen: die Schildkröte. Wunderschön für unser Cover illustriert von Kathrin Klingner, ließ sich die Schildkröte in Form von Luftballons, Buttons, aber auch mit Schildkröten-Fotos der Autor:innen im Raum wiederfinden.
Organisiert wurde das Fest von der Behörde für Kultur und Medien, Musik von DJ Nini Alaska sorgte für eine gute Stimmung und wir danken auch den lieben Mithelfern des Nachtasyls. Und natürlich danken wir dem Fotografen Thomas Panzau, der den Abend für uns festhielt.
Am meisten freuen wir uns aber darüber, dass so viele Autorinnen und Autoren anwesend waren und bei unserer Weiterschreiberei mitgemacht haben. Das funktionierte so: Wir nahmen den ersten Satz aus dem ersten Text von Laura Hellinger der zweiten ZIEGEL-Ausgabe von 1994. Daraufhin konnten alle Autorinnen und Autoren anonym weiter schreiben. Der Text wurde an dem Abend von der fantastischen Simone Buchholz vorgelesen und kann nun in unredigiert und in ganzer Länge nachgelesen werden:
Geben Sie mir einen Kuss, jetzt. Gerne, aber vorher hätte ich ein paar nicht ganz unwesentliche Fragen, Herr Moritz. Im Hintergrund läutete etwas, das Telefon?, die Türklingel?, es läutete und läutete, hörte gar nicht auf – da endlich wurde er wach, verschwitzt, mit schweren Lidern, er hatte geträumt, neben ihm klingelte der Wecker. Er versuchte die leuchtanzeige zu entziffern, aber irgendetwas stimmte nicht. Nichts ergab Sinn – und das war irgendwie schön. Ein Kuss, so pflegten die Ahnen zu sagen, sei ja etwas fast Banales, nicht wert, Worte zu verlieren; das ungefröhnte Geheimnis. Er war Text. So lag er im Bett – sich und seine sämigen Gedanken hin- und herwälzend. Der Drang zum Küssen war jetzt einmal da. Nur wen? Optionen gab es viele, schwer einzig, die richtige Lippe zu treffen. Alles Unsinn, raunte der unsichtbare Papagei auf seiner schmerzenden Schulter, und mich gibt es übrigens auch nicht, du Narr voller Sehnsucht und Speichel am Mund.
„Hey“, sagte Moritz, „Papagei.“
„Ja, was“, sagte der Papagei.
„Es gibt keine Atheisten in einem abstürzenden Flugzeug“, sagte Moritz, stand auf und ging ans Fenster, um den abstürzenden Kirschblüten beim Sterben zuzusehen, aber auch, um zu rauchen, am späten Morgen. Skandalöses Verhalten, so befand zumindest der einerseits unsichtbare und doch viel zu präzise Papagei.
Vögeln stand ich schon immer ambivalent gegenüber. Süß, das sind sie manchmal, wenn sie so als Kolibri an einer Blüte saugen. Oder flauschige Küken sind. Aber so ein abgeschrabbelter Saurier, mit neurodermitischem Hals, wie die Kormorane, die auf der KZ_Insel Kaltehofe eine ganze Hochhaussiedlung in den Bäumen bevölkern, stinkende, Flora abtötende, kreischende Geier. ManchmAL bin ich sehr verwirrt davon zu präsentieren, also lasse ich es, weil am Ende ist Erfinden nicht so real. Oder? Ach, lieber erstmal über etwas anderes nachdenken. Zum Beispiel über Krankheiten und darüber, ob dieses Ziehen im Rücken schon „Schmerzen“ sind oder man sich einfach mal besser ans Altern gewöhnt. Dieses Altern: nächtliche Fluchtblase, auf der Toilette dann die Erkenntnis, dass diese ständigen Trainerwechsel, von Heynckes zu Pep zu Ancelotti zu Kovac zu Flick zu Nagelsmann zu Tuchel, ja auch nur das Unvermeidliche hinauszögern.
Was natürlich alles nichts mit dem Altern zu tun hat. Nagelsmann hätte man nicht kündigen müssen und Tuchel ist auch nicht der bessere Trainer. Schulz hätte es vielleicht mit einer besseren Mannschaft geschafft. Egal. Das Alter trifft irgendwann jeden und Annie Ernaux war traurig, als sie von ihrer Nomininierung hörte.
Man habe ihr das Altwerden genommen. Aber manchmal ist das Altwerden ja auch nur eine Entscheidung und Entscheidungen muss man eben treffen, um dann später festzustellen, dass die schon so stimmen. Oder auch nicht. Moritz streckte sich, holte sich ein Bier aus dem Kühlschrank und schaltete den Fernseher ein. Er dreht die Lautstärke auf, aber der Papagai schrie lauter. Oder waren das seine Gedanken? Querliegende, querschießende, quadratische, kantige Gedanken, wie Würfel, klappernde aus durchscheinendem Plastik, in in dem sich das Licht teilt und bricht, beim Blick hindurch nur luzide Schemen, wie die Erinnerungen an das vergangene Leben, aber doch nicht durchsichtig genug, dass sie zum Vergessen taugen.
Es klopfte.
Wir müssen jetzt langsam mal zum Ende kommen.
Ich könnte noch die Geschichte von Henry erzählen und von Rudolf Steinr oder Tseiner oder Steiner.
Ich frage mich wie viele dieser menschen eigentlich wissen, wie unfähig mein stift im moment ist, wie wenig stoff gerade aus mir kommt.
Der Stoff, aus dem die Träume sind, ist ein unwirklich Ding, ist man nun halluzinierend oder bei Bewusstsein?
Ich hebe das Schild, sage Sommer, sage ciao, wir werden uns wiedersehen.
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