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Barcelona: Entdeckungen jenseits der Reiseführer

von Roberta Schneider

Für Flaneure ist Barcelona eine ideale Stadt. Sie ist gut zu Fuß zu erkunden, die über eine weite Fläche rasterartige Straßenanordnung erleichtert die Orientierung, und der Freund und Helfer der Zufußgehenden, der ÖPNV, ist in der katalanischen Metropole ein Traum. Die Metros dicht getaktet, die Fahrpreise günstig*, die Stationen sauber, die Mitreisenden angenehm. Die Stadt und ihre Bewohner*innen haben ein bewundernswertes Tempo – schnell, aber nie gehetzt. Ob die für den großen Stadtteil Eixample so typischen Xamfràs bzw. Chaflánes, also die abgeschrägten Ecken der Häuserblocks, Umwege darstellen, welche die Zahl der zurückgelegten Kilometer in die Höhe treiben, ist Ansichtssache. Wenn es welche sind, geht man sie gern, vor allem, wenn sie von Judasbäumen und anderen Pflanzen als Standort genutzt werden – oder von Cafés. Der Kaffee ist übrigens überall sehr gut; umso seltsamer, dass man nicht selten auf Schilder stößt, deren Zweck es ist, zu verkünden, dass dieses oder jenes Lokal guten Kaffee anbiete – fast so, als sei die Stadt für schlechten Kaffee berühmt. Das ist sie nicht – sie ist berühmt für ihren Futbol Club, gutes Essen und ungewöhnliche Architektur.

 

 Hier ein paar Entdeckungen jenseits der Reiseführer:

 

Schwimmen kann man in dem ehemaligen Olympiabad Piscina Municipal de Montjuïc nur in den Sommermonaten, ein Besuch lohnt sich aber auch außerhalb der entsprechenden Saison: Mit Getränken oder Snacks aus der angeschlossenen Bar kann man es sich auf der Tribüne gemütlich machen und den Blick über die Stadt schweifen lassen – oder sich über die Möwen freuen, die es sichtlich genießen, die Becken für sich zu haben.

 

LauschigkeitUndMastixbaum_RSchneider

Der Jardí Botànic Històric ist ein kleiner Geheimtipp. Obwohl der im Jahr 1941 eröffnete Garten im Gegensatz zum neueren und größeren Pendant ohne die Entrichtung eines Eintrittsgeldes zu besuchen ist, verirrt sich kaum jemand in diese lauschige Oase. Gewächshäuser, Lehrpfade oder bizarre botanische Seltsamkeiten sucht man hier vergebens, stattdessen findet man Ruhe und baumgroße Exemplare vom Mastixstrauch.

Carrer de Sant Antoni Maria Claret 112 von Mario Català Nebot
Carrer de Sant Antoni Maria Claret 112 von Mario Català Nebot

Als ich herausfinden wollte, worum es sich bei dem straßenzuggroßen durchsichtigen blauen Gebäude – zu sehen auf dem Bild vom Schwimmbad weiter oben – handelt, das man beim Blick vom Montjuïc auf die Stadt kaum übersehen kann, bin ich auf einen Artikel in El País gestoßen, der von Häusern mit herrlichen Fassaden kündet, von denen ich zwei prompt aufgesucht habe. Bei dem ursprünglich zu indentifizierenden Geisterhaus handelt es sich übrigens um das Skelett des Edificio Estel, das derzeit mit einem blauen Kunststoffnetz bedeckt ist. Angeblich will man ihm neues Leben einhauchen, es bleibt also vielleicht nicht lange blau und durchsichtig!

 

Carrer de València 384 von Mario Català Nebot
Carrer de València 384 von Mario Català Nebot

Im Garten der Universität – ein Tipp aus 111 Orte in Barcelona – versteckt sich zwischen den Pflanzungen und dem Hauptgebäude eine kleine Siedlung für herren- und damenlose Katzen: Neben einem Dach über dem Kopf (sogar ein Minicontainer war dabei) stehen hier Speis und Trank für mindestens ein Dutzend Felis catus bereit – gesehen habe ich nur ein einziges, sehr scheues Exemplar.

Das Baby Jalebi haben wir halb verhungert direkt nach unserer Ankunft entdeckt, als Notlösung gewissermaßen, und es ist so toll, dass es nicht weiter schlimm gewesen wäre, wenn uns jemand dazu verdonnert hätte, den Rest der Zeit in Barcelona ausschließlich dort zu essen. Supernettes Personal und megaleckere (indische/ pakistanische) Gerichte in einem kleinen Lokal, das äußerst cool und extrem gemütlich zugleich ist – was unter anderem dem Leuchtjalebi an der Wand zu verdanken ist, das alles in ein berauschendes Zuckerspiralenrot taucht.

Ähnlich klein und etwas weniger gemütlich, aber durchaus stylisch ist das Last Monkey. Die Karte ist übersichtlich, liest sich aber so spannend, dass man fast alles darauf probieren möchte – was man tatsächlich tun kann, denn bei den Gerichten handelt es sich um Fusion-Tapas. Da werden die barcelonatypischen Bikini (Käse-Schinken-Toast) zu koreanisch angehauchten Bikimchi. Aioli und Salsa Brava müssen auf ihr Kartoffelbett verzichten und es sich auf geröstetem Porree gemütlich machen, und die Nasu Nibitashi (in den japanischen Pendants zu den Tapasbars, den Izakaya, keine Unbekannte) bekommt einen Schwung süße chinesische Chilisoße auf die auberginefarbene Haut gekippt. Das war alles unfassbar lecker, aber eher auf der Fastfood-Seite der Landkarte der unwiderstehlichen Genüsse!

Auf der anderen Seite dieser Landkarte befindet sich das ebenso gute, aber eben deutlich dezentere Essen, das man im Somodo bekommt. Abends ist es recht teuer, aber das von Dienstag bis Freitag erhältliche viergängige Mittagsmenü für 19 Euro (incl. Wasser oder Wein) ist gerade noch erschwinglich. Die Tischdecken in dem Laden sind so weiß, dass man sich kaum hineintraut, und tatsächlich sollte man nicht mit dem ebenfalls im Preis eingeschlossenen Brot herumkrümeln, wenn man nicht möchte, dass die Bedienung zwischen den Gängen den Tisch mit einem kleinen Besen sauberfegt. Doch all das ändert nichts daran, dass die Gerichte, in denen spanische und japanische Küche verschmelzen, fantastisch schmecken. Das mit hauchdünnem Schinken verfeinerte Blumenkohltempura war so lecker, dass es sich gern klonen und täglich zu Besuch kommen dürfte.

Takashi Ochiai kennen wir aus der Serie Foodie Love von Isabel Coixet; die japanische Pâtisserie versteckt sich an der eher schmucklosen Ecke Carrer del Comte d’Urgell/ Carrer del Consell de Cent und hat nicht nur im Jahr 2013 den Preis für das beste Buttercroissant Spaniens bekommen, sondern ist sechs Jahre später obendrein für den besten Panettone Spaniens ausgezeichnet worden. Ich bin sicher, dass sie auch die Medaille für das beste Matchaschäumchen mit Himbeerfüllung der Welt bekommen würde.

Rolltreppe für Leute mit Spezialinteressen (RfLmS)
Rolltreppe für Leute mit Spezialinteressen (RfLmS)

Eine Kategorie, die in Reiseführern fast immer fehlt, ist die Kategorie „erwähnenswerte Läden für Leute mit Spezialinteressen“ (LfLmS). Dabei sind diese oft auch für Leute ohne Spezialinteressen interessant, und sie haben ebenso oft (wenn auch nicht immer) den Vorteil, sich dort zu befinden, wo das Gros der Touristen nicht ist, sprich: in einer alltäglichen Umgebung.

 

(Eine der tollsten Sehenswürdigkeiten in Stadt X findet man nicht im Reiseführer, sondern indem man ein koreanisches Lebensmittelgeschäft aufsucht, dort ein japanisches Getränk kauft, ein Stück nach Nordosten geht, dann einmal abbiegt, einer langweiligen Straße folgt und ein parkähnliche Gelände betritt, um das Getränk dort zu konsumieren. Der Park erweist sich als grüne Umrandung der Überreste eines antiken Springbrunnens, die von unzähligen Katzen bevölkert werden, welche von zahlreichen, augenscheinlich überwiegend weniger begüterten Menschen besucht und versorgt werden. Funktioniert nicht immer (wenn der LfLmS ein Baumarkt ist, befindet er sich in vielen Fällen in einer weniger malerischen Umgebung, aber auch hier gibt es Ausnahmen**), fördert aber oft Lieblingsorte zutage!)

 

 

 

Auf dem Weg zum LfLmS Nunoya, in dem es japanische Stoffe gibt, liegt, wenn man von der Haltestelle Tetuan kommt, die schöne Straße Carrer de Bailèn. In dieser befindet sich unter anderem das Stoffgeschäft Julián Lopéz, das eine unfassbare Auswahl an schönen Stoffen hat, die allerdings teils sehr teuer sind. Im Untergeschoss gibt es Kurzwaren und Reduziertes, und was aussieht wie eine überbevölkerte Quiltstoffabteilung ist tatsächlich ein Durchgang zum ursprünglich gesuchten Nunoya. Geht man von letzterem in Richtung Plaça d'Urquinaona (und nein, Urquinaona ist keine mittelamerikanische Gottheit, sondern ein verstorbener Bischof), wird man in der Ronda de Sant Pere von riesigen Fake-Brillanten in Barbiefarben in den Laden Natural Jade gelockt, dessen Name nicht so unpassend ist, wie die bunten Fünf-Zentimeterklunker im Schaufenster vermuten lassen könnten. Tatsächlich gibt es hier neben Glasperlen, Fädelgarn, Kettenverschlüssen und weiterem Zubehör für Schmuckhersteller Natursteinperlen – und zwar eher zu Großhandelspreisen. Gleich um die Ecke, in der Carrer del Bruc, sitzt die Konkurrenz, My Mineral Style; hier werden obendrein noch Kurzwaren verkauft, ansonsten ist das Sortiment ähnlich. Eine Straße weiter, in der Carrer de Roger de Llúria, befinden sich weitere Stoffgeschäfte – das äußerst wohlriechende Ribes & Casals sowie Teixits Donna, das in mehrerlei Hinsicht so altmodisch ist, dass einem beim Betreten des Verkaufsraums ganz beatles zumute wird.

Vom Plaça d'Urquinaona aus gelangt man (zum Beispiel über die Carrer de Trafalgar und die Carrer de Méndez Núñez) schnell in die Carrer de Sant Pere Més Alt, die ein Bilderbuchexemplar von einer Altstadtstraße ist. Restaurierte Passagen, kleine Seitengässchen, alteingesessene Läden, zeitgenössische Restaurants und ein paar LfLmS (wie zum Beispiel The Perfumery Barcelona, in der man unter anderem Zoologist-Düfte erschnuppern kann, der gutkuratierte, aber teure Second-Hand- und Altkrimskramsladen Vintage A5E und ein Feinkostgeschäft mit dem vielsagenden Namen Ferment 9) pflegen hier ein friedliches Nebeneinander, und erst am Ende beim Palau de la Música Catalana wird es ernsthaft touristisch.

Auf dem Weg in den angrenzenden Stadtteil Born kommt man gibt es einen Concept Store, der ausnahmsweise mal ein gutes Konzept hat: Chandal. Hier gibt es ausgesuchte Magazine und Bücher zu Kultur und Natur, ausgesuchten Schnickschnack, ausgesuchtes Zubehör für die analoge Fotografie und ausgesuchtes Spielzeug.

Weitere von uns besuchte LfLmS sind Art Hilgard im schönen Gràcia, ein eher kleiner Laden mit einer unfassbar großen Auswahl an Künstlerbedarf, Angela Colls, ein gut sortiertes Geschäft für Töpfermaterial und das koreanische Lebensmittelgeschäft Olémart, das unter anderem mit japanischen Süßwaren lockt.

*Es steht in jedem Reiseführer und ist ein alter Hut, aber trotzdem möchte ich hier das tolle Zehnerticket erwähnen, auch, weil es zwar überall angepriesen wird, ein wissenswerter Punkt aber meistens fehlt. Das T-Casual 1 Zona ist ein Pappkärtchen mit Magnetstreifen, das man zehnmal durch den Leser an den Zutrittsschranken jagen kann, um eingelassen zu werden. Wenn man den Überblick über die Anzahl der absolvierten Fahrten verliert, ist ein Blick auf die Stempel auf der Rückseite auch dann hilfreich, wenn diese sich so wild überlagern, dass man sie nicht mehr zählen kann: die letzte Ziffer in jeder Reihe zeigt an, wie viele Fahrten noch verbleiben. Und wenn das Ticket verbraucht ist, lässt einen die Schranke ohnehin nicht mehr rein.

Auch ohne Baumarktbesuch sichtbar: Casa Batlló, hier im Sant-Jordi-Gewand
Auch ohne Baumarktbesuch sichtbar: Casa Batlló, hier im Sant-Jordi-Gewand

**In der Carrer d’Aragó gibt es einen Baumarkt, Servei Estació, von dessen Außenterrasse man die Rückseite der berühmten Gebäude Casa Batlló, Casa Amatller und Casa Lleó Morera sehen kann. Außerdem soll das Sortiment gefährlich gut sein – ein Grund, nicht hinzugehen, wenn kein Platz mehr im Gepäck ist! (Disclaimer: Weder das Sortiment noch der Ausblick wurde durch uns überprüft!)


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