Von Nefeli Kavouras
Dass es uns in die kleine Stadt Lleida verschlug, war purer Zufall. Schon vor unserer Reise wussten wir, dass wir gern Illustrator*innen aus Spanien und Katalonien interviewen wollten. Wir stießen auf den wohlkuratierten Instagram-Account illustratorsfrombarcelona, auf dem die Arbeit von katalanischen Illustrator*innen gezeigt wird. Geführt wird er von Lara Costafreda, die selbst auch Illustratorin ist. Also schrieben wir sie an und stellten fest: sie wohnt gar nicht mehr in Barcelona, sondern in der Nähe von Lleida. Sie lud uns ein, sie zu besuchen und wir sagten zu.
Da ahnten wir aber noch nicht, dass Lara einen ganzen Tag voll mit Kunst und Illustration und Kleingebäck für uns planen würde!
Lara holt uns also morgens in Lleida am Bahnhof ab (übrigens! Funfact: Bahnfahren fühlt sich hier bisschen wie fliegen an. Es gibt Sicherheitschecks und man muss vorab seine Fahrkarte zeigen, da wurde das normalerweise alltägliche Bahnfahren zu etwas ganz Besonderem). Von da geht die Fahrt direkt weiter, denn sie will uns in dem Dorf, in dem sie selbst aufwuchs, eins ihrer aktuellen Illustrationsprojekte zeigen. Während wir also in ihrem roten Volvo sitzen und die katalanische Landschaft an uns vorbeizieht, erzählt uns Lara von ihrem Werdegang als Illustratorin.
Sie ist in Llardecans aufgewachsen, einem Dorf mit nur knapp über 450 Einwohner*innen in Katalonien. Dort kam sie mit Büchern und Kultur im Allgemeinen kaum in Berührung. Nach der Schule wusste sie nicht so recht, was sie machen wollte. Eine Freundin von ihr wollte nach Barcelona ziehen, um Modedesign zu studieren und Lara dachte sich: «Naja, Klamotten mag ich ja, dann studiere ich das eben auch.«
Barcelona war für sie ein ziemlicher Kulturschock, bisher kannte sie die Großstadt noch gar nicht. Sie absolvierte einige Praktika, auch bei diversen Fashionshows, zum Beispiel in London, und merkte, dass zu viel Arbeit sie nicht glücklich machte. Nach ihrem Abschluss in Modedesign wechselte sie also zum Grafikdesign, wobei, wie sie uns erzählt, sie nicht richtig gut im Zeichnen war und das erst in einem Erasmusjahr in Brasilien ausführlich übte, bevor sie es auch studieren konnte. Was uns an Laras Werdegang beeindruckt, ist, mit was für einer Leichtigkeit sich ihr Beruf für sie ergeben hat. Sie wirkt beim Erzählen nicht zielstrebig oder konkurrenzgestresst, sondern zeigt, dass sie einfach dem gefolgt ist, was ihr gerade in dem Moment richtig vorkam. Ohne spezielle Vision, nur mit der Freude am Illustrieren.
Mittlerweile hat sie als Freiberuflerin die unterschiedlichsten Projekte, Illustrationen für Modemagazinen wie zum Beispiel der Vogue oder auch Grafikdesign für unterschiedliche Unternehmen bis hin zu freien Arbeiten. Lara erzählt uns aber auch von dem wachsenden Gefühl der Suche nach der Sinnhaftigkeit in ihrem Beruf: »Die Angst im Beruf, die ich bei mir sehe, ist, dass man vielleicht sein ganzes Leben lang für Projekte arbeitet, die man persönlich gar nicht unterstützen mag, zum Beispiel Werbung oder Banken. Leider sind es aber genau diese Projekte, die einen gut bezahlen. Immer wenn ich andere Illustratoren treffe, geht es genau darum: wie können wir mehr für Projekte arbeiten, hinter denen wir auch privat stehen? Weil, unsere Aufgabe ist es ja, Themen schön zu machen. Und manchmal ist es so, dass es eine eher schlechte Sache ist, die wir durch die Illustrationen nur verschönern. Ein wenig wie Greenwashing.« Wahrscheinlich ist das auch einer der Gründe, warum sie ehrenamtlich in sozialen Projekten arbeitet. Unter anderem war sie auch schon einige Male in Griechenland, um dort bei Flüchtlingsunterkünften auszuhelfen.
Ein Illustrationsprojekt, hinter dem sie allerdings voll und ganz stehen kann, ist das Wandgemälde an ihrer alten Schule in Llardecans. Wir kommen mit dem Auto in diesem kleinen Dorf an, in dem es nicht viel gibt, einen kleinen Marktplatz, eine kleine Bäckerei, eine Kirche. Und etliche Menschen, die Lara schon von Kindesbeinen an kennen. Eigentlich kommen wir kaum bei unserem Spaziergang durchs Dorf kaum vorwärts, ständig wird Lara begrüßt, es ist ein schöner Gegensatz zu Barcelona, wo uns bisher alles ein wenig anonym vorkommt.
Lara zeigt uns also die Schule, die sie selbst vor Jahren besucht hat. Nachdem sie während Corona von Barcelona wieder zurückgezogen ist, bekam sie von der Schule den Auftrag, diese mit ihren Illustrationen zu verschönern. Die Blumen, die an den Wänden zu sehen sind, wachsen tatsächlich auch in der Umgebung. Lara erzählt uns, dass es sogar Familien gibt, die hierhergezogen sind, weil die Schule nun so einladend aussieht. Während der Franco-Diktatur wurden in Katalonien etliche Schulen gebaut, die alle identisch aussahen, und da ist so eine nachträgliche Verzierung ein schönes Abgrenzungsmerkmal.
Danach geht es zu einer ganz alten kleinen Bäckerei, wo wir sogar Osterplätzchen geschenkt bekommen. Wir dürfen den alten Ofen angucken, in dem gerade ein Kuchen gebacken wird. Brot gibt es aber leider nicht mehr für uns.
Am Marktplatz ist trotz Feiertag das Café geöffnet. Wir trinken Kaffee und wollen von Lara wissen, wie beliebt überhaupt der Beruf des Illustrators in Spanien und Katalonien ist.
Ab 1992, dem Jahr der Olympischen Spiele in Barcelona, haben sich die Stadt und überhaupt Katalonien stark verändert. Einige Illustrator*innen aus dieser Zeit, wurden quasi legendär. Einer von ihnen ist Javier Mariscal, der Illustrator, Künstler und Designer, der die Grafiken derOlympischen Spiele entwarf.
Die folgenden Jahre entstand das, was in der Illustrationsszene als »Designer-Boom« bezeichnet wird; viele Designer*innen und Illustrator*innen erhielten viel Anerkennung, wie zum Beispiel Jordi Labanda.
Der nächste »Illustratoren-Boom« war vor etwa acht Jahren. In ganz Spanien und dank der neuen digitalen Ära (vor allem dank Instagram) wurden einige Illustrator*innen berühmt. Dazu zählen u.a. Conrad Roset, Guim Tio, Amaia Arrazola, Chamo San, Paula Bonet, Joan Cornellà, Maria Herreros, Ricardo Cavolo und Alfonso Casas. Einige von ihnen teilten sich Ateliers und schufen so das Gefühl einer »künstlerischen Bewegung«.
Mittlerweile, so sagt Lara, gibt es keinen wirklichen Boom mehr. »Ich habe das Gefühl, dass es viele Stile nebeneinander gibt und sich der Boom nicht mehr auf eine Gruppe von wenigen Personen konzentriert.«
Im roten Volvo fahren wir zurück nach Lleida, wo wir im La Panera, einem katalanischem Kunstzentrum erwartet werden. Dort hat Lara für uns zusammen mit Roser Sanjuá, der Programmleiterin, eine Mappenbesichtigung organisiert – und das am Karfreitag! Über den Verteiler des APIC (einem Zusammenschluss katalanischer Illustrator*innen) haben sich einige Illustrator*innen aus der Umgebung gefunden, die uns ihr Portfolio zeigen wollen. Wir sind absolut angetan von der Qualität der Illustrationen. Was wir ebenso bemerkenswert finden, ist, dass alle uns erzählen, wie förderlich die Coronasituation für ihre Arbeit gewesen sei. Bei vielen kam es zu neuen Jobs, Ideen oder Projekten.
So lernen wir die Arbeiten von u.a. Sonia Alins, Quim Torres, Álex Martínez Ruano, Titilamel und Olga Ortiz kennen, die alle mit sehr unterschiedlichen Techniken arbeiten. Vor allem die Farbkombinationen gefallen uns aber durchweg sehr gut.
Den Tag beenden wir auf der alten Burg Lleidas. Schon erstaunlich, dass eine Kleinstadt eine so wuchtige Burg besitzt. Wir trinken mit Lara und ihrem Bruder Ernest noch ein »Champoo«, was eigentlich in Barcelona »Clara« genannt wird, quasi ein Radler, bevor wir wieder zurück in die große Stadt zurückkehren.
Danke, liebe Lara, dass Du uns so einen tollen, ereignisreichen Tag organisiert hast!