Tirana

Von Dorian Steinhoff

Dorian Steinhoff (Foto: Artan Begolli)
Dorian Steinhoff (Foto: Artan Begolli)

 

Dorian Steinhoff ist zur Zeit auf Einladung der Deutschen Botschaft als writer in residence in Tirana (Albanien). Letzte Woche schickte er von dort eine Mail, eigentlich nur an Familie und Freunde. Wir fanden sie aber so schön, dass wir ihn um Erlaubnis baten, sie hier zu veröffentlichen.

 

 

Liebe Familie, liebe Freundinnen und Freunde,

vor meinem Haus stehen fünf Olivenbäume. Die Erntezeit rückt näher und jeden Tag liegen mehr Oliven auf dem Boden. Die Straßenhunde, von denen es ein paar gibt, scheinen sie nicht zu mögen. Vielleicht nagen sie lieber an den Ummantelungen der Stromkabel, die sich wie ein Aderastwerk an Holzmasten nach oben ranken und sich von dort über die Straße und gefühlt zu jeder Wohnung einzeln spannen. Das würde jedenfalls erklären, warum der Strom manchmal auch ausfällt, wenn es nicht gewittert. Heute zum Beispiel schon zwei Mal, immer nur kurz. Zack, alles aus. Meine Waschmaschine scheint es nicht zu stören, sie setzt ihr Programm einfach fort, sobald der Strom wieder da ist, und ich habe eine Kerze.

Meine Wohnung hat zwei Zimmer, einen sehr großen Balkon mit Blick auf die Berge und liegt in einem sechsstöckigen Haus auf einer ruhigen Einbahnstraße. Zu Fuß brauche ich ca. fünfzehn Minuten ins Stadtzentrum. Tirana ist laut und chaotisch. Lebendig und jung. Ein großes Durcheinander, das italienische, sozialistische und moderne Architektur, Minarette und byzantinische Kirchtürme seltsam ineinander keilt. Ich nehme an, was ich seltsam nenne, ist für einen Albaner einfacher Pragmatismus, der sich hier eben nicht an irgendwelche städtebaulichen Vorschriften zu halten hat.

Es fällt mir schwer, einen signifikanten Geruch oder ein bestimmtes optisches Merkmal herauszuheben, um deutlicher zu machen, wie es sich anfühlt, hier zu sein. Es ist alles auf einmal da. Der Geruch von Schmieröl aus einer offenen Motorradwerkstatt und der Duft von gegrillten Maiskolben, die ein Roma direkt vor dem Eingang verkauft. Marktstände, an denen zwei Tüten voll frischem Obst und Gemüse zwei Euro kosten, neben einem Vodafone-Store, neben einem Schuster. Dutzende protzige Autos, meistens von Mercedes oder BMW, mit viel zu jungen Typen am Steuer. Dazwischen alte deutsche Busse, von denen die Reklame nicht abgekratzt wurde. Sie kämpfen sich ständig hupend durch die meistens verstopften Straßen, die immer wieder Grünstreifen umspannen, in denen alte Männer auf Bänken vor uralten Popcorn-Maschinen sitzen und aussehen, als würden sie nur das leise Rauschen der Blätter über sich hören und nicht das Tosen der ganzen Stadt. Wer im Straßenverkehr zögert, hat verloren. Es fährt und geht immer der Stärkere, egal wo und egal wann. Und für den Stärkeren wird gebremst. Darauf ist Verlass.

Die Frauen sind sehr bedacht auf ihr Äußeres, gut gekleidet, ungefähr auf der gleichen Range wie bei uns, von Megahipster bis Plastik-Wimpern-Tussi ist alles dabei, aber immer erkennbar davon bestimmt, was Männern angeblich gefällt. Die Männer dagegen: unsichtbar. Ich glaube, mit schief auf dem Kopf sitzender Schiebermütze und bunten Socken bin ich für die Typen hier mindestens stockschwul, bzw. ein stockschwuler Clown. Im Fitnessstudio trainieren mehr Frauen als bei Holms Place in Köln. Aber sie machen nur Übungen für ihre Beine und ihre Pos. Die Männer trainieren nur ihre Oberkörper. Ich mache Ausfallschritte und mein Handtuch ist purpurpink: schwul!

Die Cafés sind immer voll. Ein Kaffee kostet 100 Lek (ca. 60 Cent), und die Albaner trinken sehr viel und sehr gerne Kaffee. Was bei uns das E-Mail-Schreiben ist, ist hier das Kaffeetrinken. Eine Absprache, ein Kaffee. "Let's have Coffee" ist vielleicht die treffendste Metapher für das Lebensgefühl in Tirana.

Eine andere Metapher dafür, wie die Dinge hier funktionieren, ist der Wasserhahn an meinem Küchenwaschbecken. Es ist eine herkömmliche Mischbatterie, die mit einem Hebel betätigt wird. Allerdings wurde der ganze Wasserhahn falschrum montiert. Der Hebel liegt hinter, nicht vor dem Hahn, und zeigt zur Wand, nicht zum Waschbecken. Daraus folgt, dass man den Hebel nur bewegen kann, wenn das Wasser voll aufgedreht ist. Drückt man den Hebel nämlich nicht bis zum Anschlag nach oben, bekommt man ihn nicht an der Wand vorbei. Und auch wenn das Wasser läuft, lässt er sich nur so bewegen, dass man an den Fliesen entlangschrammt. Aber hey, funktioniert, warmes Wasser, kaltes Wasser, alles da, ganz nach Bedarf. Und wer interessiert sich bitte für halbkreisrunde Kratzer auf Fliesen?

Und genauso laufen Dinge hier öfters. Mir gefällt das, es hält mich flexibel, spontan und confident, man hat gar keine andere Wahl, und in dieser Fluidität löst sich mein Deutschsein, meine Dinge-müssen-funktionieren-Perspektive ganz wunderbar auf. Keine besonders neue Reflexion über die Wirkungen des Reisens, ich weiß, aber come on, so geht es dem kleinen Pedanten in mir nun mal.

Ich werde oft gefragt, was mein Eindruck von Albanien ist, eigentlich fragt mich das jeder. Ich antworte dann, dass Albanien auf mich wirkt wie ein Teenager. Ein junges Land auf der Suche nach seiner Identität, bestätigungsbedürftig, darauf bedacht, nichts falsch zu machen, aber auch sehr stolz auf das bisher Erreichte, dabei unfähig nach außen, einem Fremden gegenüber, Schwäche oder Unwissen einzugestehen. Egal, wen man fragt, alle kennen den Weg. Als wir einmal den Abfahrtsort eines Busses suchten, standen drei Männer vor uns, die in drei unterschiedliche Richtungen zeigten.

 


Ich bin jetzt schon drei Wochen in der Stadt. Ich habe an einem Dada-Festival teilgenommen, auf dem ich Prosa las, und schlief in einem Hotel außerhalb der Stadt mit Blick auf ein Umspannwerk. Es gab eine Regendusche, und der Klodeckel war nicht festgeschraubt. Ich ernähre mich größtenteils von Salat, Schafskäse, Köfte, Börek, Joghurt, Mandarinen und Granatäpfeln. Ich trinke Amstel und Raki (einen klaren Tresterschnaps, nicht das türkische Aniszeug). Ich diskutierte mit einem griechischem Kulturwissenschaftler und einem kroatischen Dichter das Erstarken des Populismus in Europa. Ich besuchte meinen ersten Botschaftsempfang, sagte zu einem Kellner versehentlich zwei Mal Tschüß (mirupafshim) statt Danke (faleminderit), als er mir brachte, was ich bestellt hatte, und wurde vom Direktor der Nationalgalerie durch eine einzigartige Sammlung sozialistischer Kunst geführt. Ich fuhr ans Meer, spazierte am Strand entlang, vorbei an Dutzenden Hotels, die aussahen, als wären sie gebaut und dann nie in Betrieb genommen worden, nur um jetzt zu verfallen. Suchte ich nach einem Drehort für einen Horrorfilm, ich wüsste nun, wo ich ihn finden würde.

Ich gab einen Slam-Workshop an einem bilingualen Gymnasium und traf auf intelligente, ehrgeizige Kinder, die noch nie Musik- oder Kunstunterricht hatten und auf dem Niveau eines Deutsch-LKs literarische Texte in einer Fremdsprache schrieben, sich kritisierten, verbesserten und performten wie Hölle. Angetrieben von einem Aufstiegswillen und einer Zielstrebigkeit, die man an Gymnasien in Hamburger Elbvororten lange suchen kann. Zum Abschluss durfte ich den ersten Poetry Slam in der Deutschen Botschaft in Tirana moderieren. Es gab Standing Ovations und Häppchen. Die albanischen Lehrer tragen weiße Kittel.

Ich bekam den ersten Probedruck der Übersetzung meines Erzählbandes in die eine Hand gedrückt und in die andere einen Flachmann. Wenig später war ich mitten am Tag betrunken und überschwänglich stolz darauf, wie weit und wohin mich diese sieben Erzählungen bisher getragen haben. Ich schrieb Nächte durch, stand im sauberen Morgenlicht auf dem Balkon, rauchte, hörte der Stadt zufrieden beim Aufwachen zu, schlief zu wenig und hatte nach dem Aufwachen Bauschaum im Kopf. Ich wurde eingeladen und eingeladen und eingeladen und egal wie sehr ich es auch versuchte, ich durfte nicht einmal selbst bezahlen. Ich traf meinen Übersetzer und wurde nicht richtig schlau aus ihm. Ich wurde Zeuge davon, wie Pressearbeit auf Albanisch funktioniert. Zwei Telefonate beim Kaffeetrinken am Donnerstag ergeben ein zweiseitiges Interview in einer Tageszeitung am Samstag und einen Fernsehauftritt im Morgenmagazin am Montag. Ich wurde live als einer der „wichtigsten Schriftseller in Deutschland“ angekündigt, sollte dann die Nobelpreisvergabe an Bob Dylan kommentieren, und während ich redete, übertönte mich die Simultanübersetzerin im Studio über Lautsprecher und ich musste so tun, als hörte ich sie gar nicht.

Eine großartige Kollegin ist gerade zu Besuch und steckt mich mit ihrer Begeisterungsfähigkeit, ihrer Ehrlichkeit, mit ihrem Enthusiasmus und ihrem energetischen Blick an. Ich durfte vor 60 Leuten Buchpremiere feiern und wurde gefragt, was ich mir wünschen würde, hätte ich einen Wunsch frei, und auf dem Tisch, vor dem ich saß, war ein Hakenkreuz eingeritzt. Ich hatte lange und viel zu signieren und musste mir dabei fast jeden Namen buchstabieren lassen. Ich bekam ungefähr 20 Facebook-Freundschaftsanfragen von Menschen, die ich noch nie gesehen habe, und frage mich, ob es als unhöflich gilt, sie nicht anzunehmen.

Morgen fahre ich für eine weitere Lesung nach Schkodra. Danach sind meine offiziellen Tätigkeiten vorbei. Am Wochenende will ich unbedingt ein  Fußballspiel im Stadion anschauen. Dann die ganze Woche schreiben und danach geht es auch schon wieder nach Hause. Am meisten freue ich mich auf Leitungswassertrinken und Roggenbrot.

Alle Liebe
euer Dorian

 

 

P.S.: Wer Dorian im albanischen Fernsehen sehen will - hier entlang.

 


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