Von Daniel Beskos
Einer der Termine, auf die ich mich sehr gefreut habe, war der bei McSweeney's (hier auch die ziemlich puristische Webseite). Von Dave Eggers 1998 als Literaturmagazin gegründet, hat
sich das Projekt McSweeney's inzwischen zu einem der spannendsten, innovativsten Verlage der USA (wenn nicht sogar der Welt, würde ich behaupten) entwickelt.
Das Büro von McSweeney's liegt im Hinterhaus eines Papierladens in San Franciscos Stadtteil The Mission. Ein geräumiges Gemeinschaftsbüro, alte Holzschreibtische stehen herum, ein paar
Palmen, zwischendurch Bücherkisten und Rennräder. Einige Leute um die Ende 20, Anfang 30 sitzen verteilt im Raum, konzentriert auf Ihre Notebooks schauend. Ich bin mit Laura Howard und Chris
Ying verabredet, die als Associate Publishers den Verlag leiten. Zum Gespräch gehen wir lustigerweise in den Keller, dort stehen mehr Bücherkisten, alte Sofas, eine
Tischtennisplatte. "This is our conference room", sagte Laura.
Die beiden erzählen mir einiges über die verschiedenen Sektionen, in die McSweeney's aufgeteilt ist:
McSweeney's Quarterly Concern
Dave Eggers, selbst als Autor bekannt (Ein herzzerreißendes Werk von umwerfender Genialität, zuletzt schrieb er das Drehbuch zum Kinofilm Where the wild things are) hat McSweeney's Quarterly von einem kleinen Zine zu einem der meistgelesenen und -diskutierten Literaturmagazine des Landes aufgebaut und konnte viele namhafte Autoren mit exklusiven Texten dafür gewinnen, z.B. Denis Johnson, Rick Moody, Joyce Carol Oates, Jonathan Lethem, Michael Chabon oder T.C. Boyle. Das Magazin erscheint vierteljährlich, und spart nicht an Ausstattung: Die gerade erschienene Nummer 34 enthält noch ein Buch über die USA-Politik im Irak, beides zusammen verpackt in einem ziemlich coolen Klarsichteinband. Hier einige Bilder der letzten Ausgaben - man erkennt, wie aufwändig die Magazine sind, und dass sie sich jedes Mal in Design und Form unterscheiden:
In dieser Reihe erschien auch einer der bisherigen Höhepunkte in der Geschichte des Verlages: McSweeney's #33 - The San Francisco Panorama.
Eine einmalig herausgegebene Zeitung, in der die Macher zeigen wollten, was in einer Zeitung wirklich möglich ist und wie man in jeglicher Hinsicht Maßstäbe setzen kann: Aktuelle Themen, gründlich recherchiert, von brilliaten Gastautoren geschrieben, wunderbar gelayoutet und designt, ergänzt durch mehrere beigelegte Magazine (24 Seiten Kunst, 112 Seiten Buchreviews, 16 Seiten Comics, dazu Poster, im Kinderteil ein Bastelbogen für eine Rakete, ein Pocketplaner mit Terminen fürs Wochenende), insgesamt über 380 Seiten dick. Pure Awesomeness!
Schon vor Erscheinen im Dezember 2009 war der Rummel um diese Ausgabe groß: "Es war unglaublich", erzählt Laura, "am Veröffentlichungstag hatten wir an mehreren Stellen in der Stadt
Verkaufsplätze eingerichtet, wir hatten Mitarbeiter in bunten, erkennbaren Shirts - aber die Nachfrage war so riesig, dass wir kaum hinterherkamen. Die Leute haben uns das aus der Hand
gerissen - like warm bread, you know." Insgesamt 40.000 Stück wurden verkauft, am Release-Tag für 5 Dollar, danach für 16.
Eigentlich immer noch unglaublich, wie so etwas finanziert werden kann. Der Zeitung liegt allerdings auch ein Pamphlet bei, in dem die Kosten genau aufgelistet sind - und in dem
nebenbei noch die Theorie aufgestellt wird, das man ein solches Projekt, würde es nur in den Auflagenhöhen regulärer Zeitungen erscheinen, locker finanziert werden könne.
Hier mal die PDF mit einigen Auszügen - lohnt sich wirklich:
McSweeney's Books
Ein weiterer Schwerpunkt neben dem Magazin ist der Verlag, in dem vor allem jüngere Autoren entdeckt und veröffentlicht werden. Vom Verlag her werden auch die Pressearbeit und Veranstaltungen in den ganzen USA organisiert. Und auch die großen Ketten kaufen die Bücher ein, da sich McSweeney's inzwischen zu einer starken Marke entwickelt hat, die mit jeder Veröffentlichung gewohnte Qualität und schickes Design liefert, dennoch immer Überraschungen bereithält (von der Zigarrenbox bis zur Zeitung haben sie alles schon mal gemacht) und so für Leser und also auch für den Handel interessant bleibt. Dabei kann es sich der Verlag auch leisten, sich nicht an den Frühling-/Herbst-Turnus halten zu müssen, sondern die Bücher dann rauszuhauen, wenn sie fertig sind. "Wir machen hier alles ein bisschen anders", sagt Chris.
Die beiden zeigen mir einige der letzten Veröffentlichungen, u.a. das tolle 5-eckige Schatzsucherbuch und die in Fell eingewickelte Vorzugsausgabe von Dave Eggers' Where the wild things are. Sehr schick:
Bei soviel Liebe zum Print bin ich neugierig, wie Laura und Chris die Zukunft des Buchmarkts einschätzen, wie sie das Internet nutzen und was sie vom iPad halten.
"Hast Du ein iPhone?", fragt Laura? "Wir haben ja eine eigene iPhone-App, den small chair, da bekommt man wöchentlich das
neueste aufs Handy - mal eine Kurzgeschichte, mal ein Kurzfilm, mal ein Interview."
Daneben nutzen sie Twitter, schicken einen monatlichen Newsletter und haben eine Facebook-Fanseite (übrigens mit mehr als 11.000 Fans, nur mal zum Vergleich: In Deutschland hat kaum ein Verlag über
1.000).
"Und iPad?", frage ich, "wird das alles umkrempeln?"
"Well", sagt Chris, "we've always been celebrating the physical print form. Natürlich kann man immer noch mehr fürs Internet machen, aber wie ich schon sagte, hier bei
McSweeney's wollen wir alles immer so machen, dass es etwas ganz Besonderes wird. Einfach nur einen Buchtext digital zur Verfügung zu stellen, wäre uns zu wenig. Man muss sich einfach etwas
mehr Zeit nehmen, um sich eine angemessene Form gründlich zu überlegen. Und es dann so machen, dass es eine cool experience für den Leser wird."
The Believer
The Believer ist ein monatliches Magazin zu den Themen Bücher, Musik, Politik und Kunst. Regelmäßige Autoren sind u.a. Nick Hornby und Michel Houellebecq.
Wholphin
Es hört nicht auf: Mit Wolphin bringen McSweeney's ein vierteljährlich erscheinendes Magazin auf DVD heraus, das neue Kurzfilme, Dokus, Animationen und unterschätzte Tutorial-Videos enthält.
826 Valencia
Nach dem Gespräch nimmt mich Chris noch mit auf die andere Straßenseite - unter dem Namen und der Anschrift 826 Valencia hat Dave Eggers
2002 ein Workshop-Programm für Kinder und Jugendliche ins Leben gerufen, bei dem es vor allem ums Schreiben und das Erlernen der Fähigkeit geht, mit Text zu arbeiten. Chris erklärt mir, dass das
hier ein Gewerbegebiet sei und daher jeder Laden ein Verkaufsgeschäft sein müsse. Aus der Not haben McSweeney's dann eine Tugend gemacht und 826 Valencia in ein Geschäft verwandelt: Einen
Piratenladen.
Es gibt hier alle möglichen Piratenutensilien, Kisten, Karten, Schaufeln zum Schätzeausbuddeln - das Ganze ist ein Paradies für Kinder, neben mir wühlen einige in einem Sandhaufen und fördern
Perlen zutage, andere Kinder möchten etwas aus dem Laden haben, die Verkäuferin schlägt vor, dass sie zum Tausch ein Lied singen sollen. Und hier werden natürlich auch die ebenfalls
wundervoll gestalteten Bücher verkauft, die aus den Schreibprojekten der Jugendlichen entstanden sind.
Neben dem ursprünglichen Standort in SF gibt es inzwischen noch 826-Läden in New York, Los Angeles, Michigan, Seattle, Chicago and Boston. Und jeder hat ein anderes Thema als Ladengeschäft zur Straßenseite. Hier einige Eindrücke aus dem Laden in San Francisco:
Hier entdecke ich sogar noch eine der letzten Ausgaben der Panorama-SF-Sonderausgabe - sofort stellt sich das seltene Gefühl ein, dass man etwas Tolles geschenkt bekommen hat, obwohl man es bezahlt hat. Grinsend laufe ich aus dem Laden - und direkt an Dave Eggers vorbei. Der war dann heute also auch hier. Er hat sicher viel zu tun.