"Magazines have a long way to go" - Der Issues-Shop in Oakland

Daniel Beskos

Meine Hausmitbewohner in Berkeley machen große Augen, als ich erzähle, dass ich nach Oakland will, um den Magazinladen Issues zu besuchen: "You know, Oakland can be quite a dangerous place", sagen sie. Nun ja, es ist mitten am Tag, ich will dort von der S-Bahn die Hauptstraße runterlaufen und dann in einen Magazinladen rein, das wird man doch überleben, oder? Zur Vorbereitung schaue ich mir schnell noch ein zwei Videos an.

 

In Oakland also die Straße runter, und schon bald bin ich da:

(c) Issues
(c) Issues

Issues ist eigentlich nur ein großer Kiosk, aber mit einer unglaublich reichhaltigen Magazinauswahl - von allen großen US-Magazinen wie Time Magazin oder The Economist über alle möglichen Punk-Fanzines reicht die Auswahl, sogar einige deutsche Zeitschriften wie ZEIT oder NEON haben sie da ("Neon kauft aber nie jemand..."). Dazu gibt es ausgewählte Bücher, Vinyl-Alben und anderes. 

Joe und Noella haben den Laden vor 3 Jahren gegründet, nachdem sie keine Magazine fanden, die sie gerne lesen wollten und daraufhin beschlossen, einfach selbst einen Magazin-Laden zu eröffnen.

 

Ich werde wahnsinnig herzlich begrüßt und gehe dann mit dem wahnsinnig sympathischen Joe in einen Mexican Diner gegenüber - ein Laden, der mit seinen braunen Hockern, der Jukebox und den alten Anzeigen als Tischdecken aussieht wie aus einem 70erJahre-Film rausgeschnitten.

 

Joe, der auch Musiker ist und schon ein paar Mal zu Konzerten bei der Transmediale oder der Ars Electronica in Europa war, erzählt, dass es ihm eigentlich darum geht, möglichst viel ungewöhnliches Zeug unter die Leute zu bringen: "Weißt Du, wir haben hier viele normale Leute in der Nachbarschaft, Fischer, Maurer, alte Leute, daher verkaufen wir alles mögliche, von der Fernsehzeitung bis zum Punk-Fanzine."

Und wie finden sie die Sachen, die sie anbieten?

"Bei den Fanzine-Machern ist es meistens so, dass die zu uns in den Laden kommen. Manche kommen auch nur einmal, danach gibts das Magazin schon nicht mehr. Das ganze offizielle Zeug bekommen wir meistens von unserem Vertrieb. Daneben gibt es dann auch noch Großhändler wie Last Gasp Distribution, da können wir als Ladenbetreiber mit 40% Rabatt einkaufen."

Last Gasp, so erklärt mir Joe, habe alles mögliche, man schiebe da seinen Einkaufswagen durch die Regalreihen und packe stapelweise Magazine und Bücher in den Wagen, Underground-Comics, Hippie-Zeug, Rock- und Tattoo-Magazine und all sowas. Hört sich für mich sehr nach Fegro oder Metro an, aber eben für Magazine. Skurrile Vorstellung.

 

"Aber naja", meint Joe, "nackte Mädchen auf Motorrädern, das verkauft man natürlich, aber das ist mir n bisschen zu einfach. Ich stelle in unser Schaufenster vor allem das außergewöhnliche Zeug, The Believer, Cometbus und sowas, und es ist schon lustig, die Passanten manchmal durch die Scheibe zu beobachten, wie sie verwundert die Stirn runzeln – aber darum geht’s ja auch: Dass auch die Kunden aus der Nachbarschaft all diese interessanten Magazine wahrnehmen."

Cometbus, das ist mir jetzt schon ein paar Mal begegnet, ich frage also genauer nach: Aaron Cometbus ist in der Bay Area omnipräsent, hat in einer endlosen Anzahl an Bands gespielt und, für diverse Punkfanzines geschrieben und mittlerweile über 50 Ausgaben seines handgeschriebenen Zines rausgegeben, in dem es fast durchweg um Punkrock, Liebe und die persönlichen Befindlichkeiten seines Herausgebers geht.

"Aaron Cometbus is a force of nature, man!", sagt Joe, ergänzt aber auch, dass der Erfolg nachvollziehbar sei, da das Magazin - im Gegensatz zu vielen anderen - auch wirklich gut gestaltet sei und mit 3 Dollar ausgesprochen günstig. "Wobei ich es inhaltlich nicht so besonders finde…", sagt er noch.

 

Auch, wenn es manchmal schon fast etwas kitschig Nostalgisches habe, die Idee, ein eigenes Fanzine zu machen, sei für viele hier in der Gegend einfach weiterhin sehr interessant. "Ich habe manchmal den Eindruck" sagt Joe, während er in seine Tacos beisst, "es gibt fast sowas wie eine Indie-Checklist: You know, ride a bike, have a tattoo, be in a band, make your zine – es gehört einfach dazu.“ Deshalb gebe es ja auch so viele Fanzines hier in den USA (und sei es auch nur sowas wie I hate my life #7) - das habe einfach mehr diesen mysteriösen Punk-Mythos als lediglich zu sagen: Ich schreibe einen Blog.

Obwohl andererseits, fällt ihm auf, jetzt mehr und mehr Blogger auch Buchverträge kriegten - Thereifixedit oder Stuffonmycat etwa.

Wie geht's also weiter in den nächsten Jahren?

"Der Zeitungsmarkt macht's jedenfalls nicht mehr lang, denke ich", meint Joe.
In den USA sei die Situation jetzt schon ziemlich katastrophal, erklärt er mir, das hänge aber nicht so sehr mit der Digitalisierung zusammen, sondern auch mit der wirtschaftlichen Situation. Einige Zeitungen werden sicher Bestand haben, so etwa die New York Times – diese hat z.B. eigene Druckereien auch an der Westküste der USA, da sonst der Transport von New York gar nicht bezahlbar wäre. Für kleinere Zeitung ist so etwas aber zu teuer, was dazu führt, dass z.B. die L.A. Times in San Francisco schon fast nicht mehr zu kriegen ist, weil es sich für keinen in der Vertriebskette lohnen würde.

Und auch bei den bestehenden Vertriebssystemen sägen viele Zeitungen und Zeitschriften am eigenen Ast: In den USA gibt es z.B. derzeit eine Diskussion über die großen Magazine, denen vorgeworfen wird, dass sie im Abo viel zu billig sind – eine Einzelausgabe des Time Magazine kostet zum Beispiel 4,95 Dollar, das Jahresabo (56 Ausgaben!) kostet nur 20 Dollar. Das bringt alle Leser dazu, nur noch im Abo zu bestellen, was wiederrum natürlich auch schlecht für die Kiosks und Buchläden ist.

Zum Thema iPad & E-Books meint Joe nur lapidar: „All I know is that you don’t see people break into cars to steal books“.


Dann läuft es seiner Meinung nach also drauf raus, dass qualitativ hochwertige Magazine und Fanzines eine Zukunft haben, auch in gedruckter Form? Joe nickt: "Magazine, die wird’s noch lange geben, das lieben die Leute einfach wegen der Beschaffenheit, wegen des Papiers, wegen des Moments, in dem man das Ding aus dem Laden trägt.“
Dann grinst er, und wir gehen zahlen.

Später komme am ich dann zufällig noch am "Bound Together" vorbei, einem anarchist collective bookstore - noch so ein Laden, den es bei uns vermutlich eher nicht mehr gibt. Typisch für Haight Ashbury, San Franciscos Hippieviertel, ist der Laden vollgestopft mit politischen und literarischen Magazinen und Büchern aus den Themenfeldern Punk, Anarchie, Sozialismus, Feminismus, Queer-Studies usw., die Farbe rot herrscht vor und die Decken und Wände sind gepflastert mit Postern und T-Shirts. Irgendwie hatte das natürlich etwas ziemlich Rückständiges, andererseits strotzt der ganze Laden so vor Vitalität, dass man wirklich zu dem Schluß kommen könnte, dass alle diese Themen hier auch wirklich aktiv gelebter Teil der Gesellschaft sind. Das wär ja was. "Die populäre Buchkultur wird immer monotoner, da wird überall die Nachfrage groß nach speziellen Sachen" erzählt mir einer der Betreiber. "Spezialisierung ist die Zukunft, es gibt jetzt schon viele Läden, die nur Zines & Magazines machen, und natürlich auch Comics & Graphic Novels.” Dann erzählt er aber noch, dass der Laden als kollektiv betriebenes Projekt nicht wirtschaftlich sein muss, daher hat man hier natürlich etwas mehr Freiheiten als anderswo.

Danach trinke ich meine erste Dr. Pepper Cherry Coke seit gefühlten 15 Jahren. Schmeckt super. Der Kapitalismus hat mich wieder.


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