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Literaturkritiker und Lyriker Aljaž Koprivnikar: »Du musst als Chamäleon von einer Rolle in die nächste schlüpfen.«

von Nefeli Kavouras 

 

Aljaž Koprivnikar ist Literaturkritiker, Lyriker, Veranstalter und vieles mehr. Die meiste Zeit lebt er gar nicht in Slowenien, sondern im Ausland und vermittelt dort slowenische Literatur. Mit ihm spreche ich über die Bedeutung des Frankfurter Buchmessenauftritts für Slowenien und was die Besonderheiten der slowenischen Literatur sind.

 

(c) Leon Vidic
(c) Leon Vidic

Lieber Aljaž, ich kann mir vorstellen, dass du gerade recht viel zu tun hast wegen der Vorbereitungen für die Frankfurter Buchmesse? 

Ja, tatsächlich. Ich bin zum Beispiel in der Vereinigung slowenischer Literaturkritiker*innen und wir bereiten für die Frankfurter Buchmesse eine englischsprachige Ausgabe zu gegenwärtiger slowenischen Literatur vor. Und ansonsten werde ich auch als Autor dort anwesend sein. Das ist schon alles eine tolle Ehre für ein zweimillionenkleines Land, ich finde das schön, wenn mehr Menschen auf der Welt etwas über slowenische Literatur erfahren. 

 

Du bist ja schon viel im Ausland unterwegs, auch als Vertreter slowenischer Literatur. Was würdest du sagen, zeichnet slowenische Literatur aus? 

Ja, das stimmt. Gerade befinde ich mich in Berlin, wobei ich eigentlich mittlerweile in Prag lebe. Und in Lissabon habe ich an der Universität slowenische Literatur unterrichtet. Ich finde slowenische Literatur super spannend, wahrscheinlich auch, weil sie für Außenstehende ein bisschen »exotisch« wirkt. Obwohl wir wirklich nur ein kleines Land mit einer kleinen Sprache sind, haben wir viele Autor*innen mit einem großen Bewusstsein für ihr Land. In Frankfurt etwa haben wir uns als »Land of Poets« betitelt. Das stimmt natürlich auch, mehr als 300 Lyrikbände werden in Slowenien jährlich veröffentlicht, zwar viele im Selbstverlag, aber trotzdem ist das ja so, als würde es beinahe täglich einen neuen Lyrikband geben. Ich würde generell sagen, dass die Stärken in unserer Literatur vor allem in der Lyrik liegen. Natürlich haben wir hier auch sehr gute Prosa, aber die Lyrik ist eine, die wirklich international mit den »big playern« mithalten kann. Und wenn man das Literaturleben selbst betrachtet, würde ich sagen, dass Slowenien eine sehr lebhafte Literaturszene hat. Wir haben viele Literaturfestivals, es werden immer wieder innovative Literaturvermittlungsideen kreiert, unser Bibliothekssystem ist super – das ist schon, wenn man die Strukturen betrachtet, beachtlich für so ein kleines Land. 

 

Würdest du denn sagen, es gibt auch immer wiederkehrende Themen in der slowenischen Literatur? 

Das lässt sich gar nicht so leicht beantworten, weil wir in einer globalisierten Welt leben, in der Themen sich nicht unbedingt an Landesgrenzen orientieren. Aber natürlich, falls man von nationaler Literatur sprechen möchte, falls es sowas überhaupt noch gibt, dann gibt es in jedem Land natürlich Besonderheiten. Wenn man zum Beispiel die Lyrik der letzten 15 Jahre in Slowenien betrachtet, dann fällt auf, dass es eine Bewegung gab, die von Literaturkritiker*innen als »Neue Intimität« bezeichnet worden ist. Da geht es um alltägliche Thematiken, die aber auch existenzielle Fragen aufwerfen. E geht da letztlich darum, wie Individuen durch die Welt wandern und nach einer höheren Wahrheit streben. Diese individuelle Sicht ist aber auch nur ein Beispiel. In der jüngeren Generation, also meiner Generation, nehme ich viel Experimentelles war, auch feministische und andere gesellschaftlich relevanten Themen. Es ist einfach sehr divers mittlerweile in der Lyrik. Und bei Prosa sehe ich das ähnlich. 

 

Und sag mal, wenn wir auch über dich reden, was antwortest du eigentlich, wenn man dich fragt, was du beruflich machst? Schließlich hast du ja etliche Berufe. 

Haha, das kommt darauf an, wer mich fragt. Es ist schon erstaunlich, wie groß der Kultursektor in Slowenien ist, in Relation zur eigentlichen Größe des Landes. Und obwohl es staatliche Unterstützung für Autor*innen, Kulturinstitutionen und generell Kulturschaffende gibt, ist es immer noch nicht genug Geld, um in den meisten Fällen von einer Tätigkeit leben zu können. Das heißt, die meisten Kulturschaffenden sind »multipractical«. Hier sind Kulturschaffende zugleich auch Autor*innen und Veranstalter*innen und Kritiker*innen. Das trifft auch auf mich zu. Mittlerweile lebe ich aber nicht nur des Geldes wegen so, sondern auch, weil ich mich selbst nicht beschränken möchte. Wenn ich zum Beispiel auf einem Literaturfestival als Autor eingeladen werde, nutze ich die Gelegenheit, um zu schauen, ob daraus nicht auch Kollaborationen auf anderer Ebene entstehen können. Du musst als Chamäleon von einer Rolle in die nächste schlüpfen. Mittlerweile bin ich aber am liebsten in der Literaturvermittlung tätig, vor allem für jüngere Autor*innen, egal, ob es sich um Übersetzung oder Veranstaltung handelt. Ich find es immer gut, ein direktes Ergebnis zu sehen, zu verfolgen, wie Literatur direkt zu den Menschen gelangt. 

 

Du bist ja auch Literaturkritiker. Wie bekommen Menschen in Slowenien überhaupt von Büchern mit, wo finden Literaturkritik oder Literaturempfehlungen statt? 

Also, generell würde ich sagen, auch wenn wir Slowenen uns grundsätzlich gern beschweren und eine große Melancholie in uns tragen und immer um jeden Preis die prominente Rolle von Literatur in unserer kulturellen Identität verteidigen wollen, würde ich sagen: was das angeht, stehen wir im Vergleich zu anderen Ländern gar nicht zu schlecht da. Es gibt noch immer Literaturkritiken in Zeitungen wie auch Empfehlungen für Literaturfestivals. Und natürlich haben wir trotzdem Grund zur Beschwerde, denn der Platz wird in den Zeitungen etwas geringer, vor allem, wenn wir das mit früheren Zeiten vergleichen. Im Radio gibt es auch sehr viele Literaturbesprechungen, es gibt mehrere Literaturmagazine, die immer noch gedruckt werden und nicht nur digital stattfinden. Dann sind natürlich Literaturblogger*innen ein großes Thema. Im Fernsehen gibt es auch Literaturprogramm, allerdings könnte da meiner Meinung nach viel mehr stattfinden. Außerdem sind die Verlage selbst einfach sehr aktiv mit Initiativen oder Festivals, um ihre Bücher zu bewerben. Letztlich ist das ja das Wesentliche: sich weniger beschweren, und mehr innovative Lösungen finden, um Bücher zu den Menschen zu bringen. 

 

Denkst du, dass der Ehrengastauftritt auch dazu beitragen kann, dass innerhalb Sloweniens mehr gelesen wird? 

Ja, auf jeden Fall. Allein dadurch, dass die Frankfurter Buchmesse einfach weltweit die größte und einflussreichste Buchmesse ist, bekommt Slowenien eine Bühne, die das Land so natürlich nicht gewohnt ist. Ich glaube, wir sind auch oft nicht besonders gut darin, uns selbst zu bewerben, weil wir uns als sehr kleines Land wahrnehmen. Aber durch Frankfurt kann in der slowenischen Literatur ein neues Selbstbewusstsein erfunden werden, bei dem wir uns mit Freude als das Land der Poeten präsentieren können. Ich bin mir auch sicher, dass wir auch unsere Sprache als die romantischste aller Sprachen behaupten werden. Jedenfalls ist das eine Ehre, dass wir die Möglichkeit, aber auch die Verantwortung dafür tragen, unsere Literatur zu bewerben und so neue Verbindungen mit der Welt entstehen zu lassen. 

 

Gibt es denn noch andere Dinge neben der Frankfurter Buchmesse, auf die du dich demnächst freust? 

Also erstmal freu ich mich auf den Frankfurtauftritt und darauf, dass mein Buch ins Deutsche übersetzt wird. Auch, weil mein Verleger immer meinte, meine Lyrik sei nichts für Nordeuropa, sondern nur für Südeuropa. 

 

Haha, was? Warum das denn? 

Ich glaube, das hat etwas mit dieser »Neuen Intimität« zu tun, die sich auch in meiner Lyrik wiederfindet, und das passt eher zur gegenwärtigen griechischen oder italienischen Lyrikszene. Und soweit ich die deutsche Literatur kenne, dominieren vor allem politische Fragen oder Sprachkunst die Literatur. Das ist nicht das, was ich in meiner Lyrik tue.
Naja, und außerdem, um auf deine Frage zurückzukehren, freue ich mich auf die Literaturfestivals, die ich gerade plane. Eine Besonderheit an der slowenischen Literaturszene ist, dass wir uns, auch wenn wir nicht besonders bekannt sind, um viele Kollaborationen in ganz Europa bemühen. Viele europäische Literaturprojekte werden aus Slowenien aus organisiert, zum Beispiel Versepolis, was ich mitverantworte. Für so ein kleines Land veranstalten wir wirklich große und wertvolle europäische Projekte, bei denen es gar nicht nur darum geht, slowenische Literatur zu bewerben, sondern einen internationalen Austausch anzustreben und voneinander zu lernen. Ich glaube, gerade die internationalen Kollaborationen, die sind die Zukunft. Und das ist auch der Grund, warum ich mich so gerne im Literaturbereich bewege, weil ich ständig auf der Suche nach dem Dialog bin, einem Dialog zwischen Kulturen oder auch ein Dialog zwischen zwei Menschen. Und ich finde, Literatur kann genau diesen Dialog herstellen. 

 

Das ist ein schönes Schlusswort. Danke, lieber Aljaž, dass du dir Zeit für das Gespräch genommen hast! 


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