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Lyrikerin und Verlegerin Anja Golob: »Mir tun Menschen leid, die nichts mit Gedichten anfangen können«

von Nefeli Kavouras

 

Mit Anja Golob verfliegt das Gespräch. Ich treffe die slowenische Lyrikerin, Verlegerin, Dramaturgin und Publizistin auf Zoom - und mit ihrer ungekünstelten Art zieht sie einen gleich in den Bann: Man ist mit ihr begeistert von Lyrik und Graphic Novels, möchte mit ihr die Welt kommentieren. Wahrscheinlich liegt das auch daran, dass Anja Golob sich selbst in den Bann ziehen lässt. Denn selbst in Literaturkreisen trifft man nicht oft auf Menschen, die die Literatur so sehr lieben, wie es Anja Golob tut. 

 

Liebe Anja, du bist Lyrikerin, Verlegerin, Übersetzerin, Kritikerin und noch vieles mehr – wie wichtig ist dir ein strukturierter Alltag? 

Sehr sehr wichtig, vor allem, weil ich ja nicht nur arbeiten möchte. Ich will  auch Zeit mit meiner Frau, meinem Hund und meinen Freunden verbringen. Deswegen ist die Trennung von Arbeit und freier Zeit sehr wichtig. Und letztlich, ich mache ja all diese unterschiedlichen Dinge, weil ich darauf angewiesen bin. Würde ich nur eine Tätigkeit ausüben, könnte ich sehr wahrscheinlich nicht davon leben. 

 

Sprich, wenn du in einer Utopie leben würdest, in der Geld keine Rolle spielt, was würdest du dann am liebsten machen? 

Lyrik, das wäre dann auf jeden Fall Lyrik. 

 

Wie kam es dann zu all den weiteren Tätigkeiten? 

Eigentlich kam das durchs Schreiben: ich wollte nicht nur besser im Schreiben werden, sondern auch lernen, wie man ein Buch produziert, wie man ein Buch vertreibt, wie man ein Buch verkauft, wie man es vermarktet. All diese Dinge sind wichtig und ich wollte sie lernen. Und so kam es zum Beispiel zu der Gründung meines Verlags VigeVageKnjige.

 

Und wie sieht euer Verlagsprogramm aus? 

Wir sind vor allem auf Graphic Novels und Comics für Kinder spezialisiert. Das ist auch noch eine Nische in Slowenien. Wir bieten sogar Workshops in Bibliotheken an, um Erwachsenen Graphic Novels nahezubringen, viele wissen gar nicht, wie man die überhaupt liest. In Slowenien ist das Verlegen von Büchern und der direkte Verkauf von Büchern nahbeinander. Viele Verlage haben eigene Buchhandlungen, in denen sie hauptsächlich ihre eigenen Bücher verkaufen. Wir haben auch unsere Buchhandlung, in Maribor, dort verkaufen wir auf knapp 13 qm unsere Bücher. Aber wir verkaufen dort auch Bücher von anderen kleinen, unabhängigen Verlagen. Und auch, wenn der Verkaufsraum klein ist, habe ich das Gefühl, es ist auch eine Raumkapsel, um andere Universen zu bereisen. Durch Bücher kannst du überall hin reisen. 

 

Falls wir es nach Maribor schaffen, will ich unbedingt die Buchhandlung besuchen! Erzähl doch noch ein bisschen von deinen weiteren Tätigkeiten.

Ansonsten schreibe ich Kolumnen, mittlerweile habe ich eine wöchentliche Radiokolumne. Das verlangt mir viel ab, aber es ist auch eine große Freude. Ich find's toll, dass ich da einen dreiminütigen Raum habe, den ich selbst füllen kann. 

 

Und mit welchen Themen füllst du den Raum? 

Da geht es vor allem um gesellschaftliche Themen. Darum, was unsere Gesellschaft in Slowenien prägt, welche Atmosphäre zwischen den Menschen herrscht. Eigentlich schaue ich vor allem auf  "Symptome", die mir in der Gesellschaft auffallen. Schließlich hat die Kolumne nur drei Minuten, da muss ich mich fokussieren. Ich versuche darin zu spiegeln, wie ich politische und soziale Systeme wahrnehme. Und eben weil ich da noch ganz viel Ungleichgewicht und Ungleichheit sehe, finde ich es gut, diese drei Minuten sinnvoll zu nutzen. 

 

Gleichzeitig beobachtest du ja auch als Kritikerin und Literaturakteurin die Literatur in Slowenien. Gibt es Besonderheiten, von denen du erzählen kannst? 

Thematisch fällt mir dazu vor allem ein, wie die Nachwirkungen des Bosnienkriegs bearbeitet werden. Da geht es viel um Zugehörigkeit, um die Eltern, um die Großeltern, wie all diese Generationen vom Krieg betroffen gewesen sind. Und da entwickeln sich viele spannende literarische Stimmen. Außerdem es gibt gerade immer mehr Erzählungen. 

 

Hast du denn auch mal überlegt, selbst in die Politik zu gehen? 

Nein, nie. Ich lebe ja schon in einer politischen Welt, das reicht mir. Und um ehrlich zu sein, die Politik, die um mich herum geführt wird, kommt mir oft vor, als würde sie nicht von Erwachsenen, sondern von Kindern gemacht. Was will ich denn da? Ich mag auch die meisten Menschen in diesem Bereich nicht. Das wäre, als müsste ich mich mit an einen Tisch setzen, an dem nur Fleisch serviert wird, aber ich bin Vegetarierin. Außerdem: ich liebe Kunst! Das ist wirklich das, wofür ich lebe: Literatur und Film und Musik und Theater. Für diese Dinge lohnt es sich auch, arbeiten zu gehen, Geld zu verdienen. Damit ich mir Bücher oder Festivaltickets leisten kann. 

 

Das klingt richtig schön. 

Ja! Und erst neulich habe ich mit meiner Frau darüber gesprochen, dass 95% aller unserer Reisen aus Kulturereignissen entstehen. Wir wollen zu einer Ausstellung, wir wollen auf ein Konzert, oder zu einer Lesung und dann fahren wir hin. Wir folgen der Kunst, das ist die Art und Weise, wie wir reisen. Und auch als Autorin werde ich in unterschiedliche Orte eingeladen. Ich genieße das jedes Mal. 

 

Aber lässt sich das für dich gut vereinen, die künstlerische und die anderen Tätigkeiten? 

Ja und nein, aber ich bin ja selbst dafür verantwortlich, mir die Zeit zum Schreiben zu nehmen. Deswegen sind Aufenthaltsstipendien für mich so wertvoll, weil ich mich währenddessen nur aufs Schreiben konzentrieren kann. Und dann stört es mich auch nicht, wenn ich es im Alltag nicht schaffe, zu schreiben. Wobei ich schon versuche, mir täglich wenigstens ein bisschen Zeit zu nehmen. Aber dafür muss mein Kopf leer genug sein. Zum Beispiel schreibe ich gerade an einem Gedicht, das ist richtig "shitty", weil es so kompliziert ist und eigentlich weiß ich ganz genau, wohin es gehen soll, was es sein soll, aber ich bin noch nicht richtig da, es entwischt mir immer wieder. Und das ist dann schon frustrierend. Aber wenn es dann gelingt, oder wenn ich selbst Lyrik lese, dann war es das alles wert. Mir tun oft die Menschen leid, die sagen, dass sie nichts mit Gedichten anfangen können. Die verpassen einfach so viel. Manchmal sagen ja Menschen, Gedichte seien ihnen zu kompliziert. Und natürlich, die können kompliziert und schwer sein, aber sie können aus dir innerhalb von zwei Minuten einen besseren Menschen machen.  

 

Das ist doch ein schönes Schlusswort. Ich danke dir fürs Gespräch, liebe Anja!

 

Von Anja Golob sind auf Deutsch erschienen:

dass nicht, Gedichte, Edition Korrespondenzen 2022

Anweisungen zum Atmen, Gedichte, Edition Korrespondenzen 2018

Taubentext, Vogeltext (zusammen mit Nikolai Vogel), hochroth Verlag 2018


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