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"Angst ist ein schlechter Ratgeber" - Joost Nijsen, Verleger Podium Verlag

Interview und Übersetzung: Daniel Beskos

 

Nach drei Tagen Dauerregen und Sturm kam heute Morgen zum ersten Mal die Sonne raus. Mit guter Laune und Sonnenbrillen radeln wir los, in ein Industriegebiet am Rande der Stadt, wo man eigentlich keinen Verlag erwarten würde. Denn fast alle größeren Verlage in den Niederlanden sind sehr zentral im Amsterdamer Grachtenviertel angesiedelt. Einer der Verlage, die diesen literarischen Quadratkilometer nun verlassen haben, ist Podium, sie sind mit einigen anderen Verlagen jetzt in einem Industriegebiet im südlichen Stadtgebiet verortet. Einer der Vorteile, in einem Industriegebiet zu sein, ist: Man hat viel Platz. In dem schönen, hellen Büro von Podium arbeiten 8 Leute, Glaswände teilen den großen Raum in einzelne Büros, und wir nehmen im Zimmer des Verlegers Joost Nijsen Platz auf einem klassischen ledernen Verlegersofa.

 

Joost, wie würdest du das Programm von Podium beschreiben?
Es ist sehr eklektisch. Es gibt keine Strategie, es geht eher von meinem persönlichen Geschmack aus, und der ist sehr breit gefächert. Hauptsächlich besteht unser Programm aus niederländischer Literatur, vor allem aktuellen Romanen, das ist meine Leidenschaft, aber auch Lyrik. Daneben gibt es ausgewählte Übersetzungen. Das meiste Geld allerdings verdienen wir mit Sachbüchern. Das ist so ein Standardwitz von mir: "Ich verdiene Geld mit Sachbüchern und verliere es wieder mit Literatur". Aber auch mit den Übersetzungen ist es schwer, die Konkurrenz in den Niederlanden ist da einfach sehr groß. Es ist natürlich weniger Arbeit, sich gute Manuskripte im Ausland einzukaufen, anstatt einheimische Autoren aufzubauen, aber es ist eben dann auch viel schwerer, die übersetzten Bücher hier durchzusetzen.

 

Dann gibt es da noch die Nische der südafrikanischen Lyrik, zweisprachig Afrikaans-Niederländisch sogar, da sind wir sozusagen Marktführer, zum Beispiel mit den Büchern von Antjie Krog, sie ist Anwärterin auf den Nobelpreis, ihre Texte kreisen viel um das Thema Schuld, das für die Niederländer im Hinblick auf unsere ehemaligen Kolonien sehr präsent ist. Damit verdienen wir sogar Geld, wir verkaufen jeweils so ca. 5000 Exemplare ihrer Bücher.
Und mit deutscher Lyrik haben wir jetzt auch angefangen, und zwar mit dem Gewinner des Leipziger Buchmessepreises, Jan Wagners Regentonnenvariationen.

 

Joost Nijsen, *1958, gründete 1980 als Uniprojekt einen kleinen Verlag und gab die Literaturzeitschrift Optima heraus. Danach arbeitete er fürs niederländische Boekblad sowie für verschiedene Verlage. 1997 gründete er mit Podium dann seinen eigenen Verlag, der inzwischen zu einem der wichtigsten unabhängigen Verlage in den Niederlanden geworden ist.

https://twitter.com/joostpodium


Dann haben wir eine Serie mit internationalen Erzählbänden, unter anderem von George Saunders, Karen Köhler, Dorthe Nors und jetzt im Herbst auch die gesammelten Kurzgeschichten von Truman Capote.

 

Im Sachbuchbereich haben wir eine ganze Reihe von Essays, allen voran Joris Luyendijk, dessen Bücher ja auch in Deutschland beim Tropen Verlag erscheinen. Daneben gibt es Handbücher und Ratgeber zu populären Themen.
Was ich noch nie gemacht habe, sind Biographien, keine Ahnung warum. Krimis machen wir auch nie, mit Kinderbüchern fangen wir jetzt gerade erst an, u.a. mit einem von George Saunders.
Was ich auch nie mache: Ich schaue nicht, was der Markt macht oder braucht. Zum Beispiel kriegt man öfter zu hören: Wenn das Geschäft in den Sommermonaten abflaut, veröffentliche doch Thriller, das kaufen sich die Leute für den Urlaub. Aber so funktioniere ich nicht. Man muss für alles eine Leidenschaft haben.

 

Wie sagte mal jemand? "Buchleute packen Bücher irgendwie anders aus als andere Kinder". Das Podium-Team beim Unboxing.
Wie sagte mal jemand? "Buchleute packen Bücher irgendwie anders aus als andere Kinder". Das Podium-Team beim Unboxing.

Wie findest du die internationalen Titel?

Ich bin ja schon länger dabei und kenne viele Leute, die mir Tipps geben. Inzwischen reise ich nicht mehr so viel, wie ich das gerne würde, aber natürlich fahre ich nach Frankfurt und London zu den Messen, manchmal nach New York, selten auch nach Barcelona und Turin. Und wir haben jetzt mit Virgina Marx auch einen Scout in London - sie beobachtet für uns den englischsprachigen Markt, kennt sich aber auch in Spanien gut aus. Wir probieren das jetzt mal, und meine Ansage an sie war: "Schick mir so bitte so wenige Vorschläge wie möglich!". Unser Lektor Merijn Hollestelle filtert ihre Tipps dann nochmal und schickt mir die besten davon.

 

Gibt es bestimmte Tendenzen in der aktuellen niederländischen Literatur?

Ich glaube, es ist mit der Entwicklung in Deutschland gut vergleichbar. Nach dem Krieg war sie sehr akademisch, sehr elitär, sehr auf den literarischen Stil bedacht. Seit den 90er Jahren ändert sich das, seitdem ist die Nachfrage nach Literatur gestiegen, die sich mehr mit aktuellen Entwicklungen befasst und zugänglicher ist. Dass führte dann irgendwann dazu, dass es nur noch um den Plot ging und gar nicht mehr um die literarische Qualität. Als ich anfing, war "Plot" etwas für Hollywoodfilme, nicht für Bücher.

 

Was hat sich für dich in den Jahren seit deinen Anfängen noch geändert?

Ich glaube, die Autoren haben sich immer mehr von ihren Verlegern abhängig gemacht. Es wurde irgendwann selbstverständlich, dass Autoren hohe Vorschüsse bekamen und vom Schreiben leben konnten; und dass die Verlage dafür verantwortlich waren. Und die Verlage haben die Autoren auch zu sehr verwöhnt. Es gibt die Geschichte, dass der Lektor eines sehr populären Autors jeden Morgen zu dessen Haus radelte, um ihm Croissants zu bringen. Aber die goldenen Jahre des Verlegens sind vorbei, nur sind die Autoren eben immer noch in diesen Vorstellungen verhaftet.

Ich finde, heute müssen die Verlage den Autoren klarmachen, wer welche Aufgaben hat, und es ist die Aufgabe des Autors, zu schreiben - aber wenn man ein gesichertes Einkommen haben will, muss man vielleicht auch über einen anderen Beruf nachdenken. Und die Aufgabe der Verlage ist es, zu lektorieren, zu gestalten, zu kommunizieren, den Namen des Autors zu verbreiten. Aber sie müssen den Autoren auch die Grenzen klarmachen, und das erfordert einigen Mut. Wie im Deutschen gibt es auch bei uns das Sprichwort: Angst ist ein schlechter Ratgeber.

 

Self-Publishing ist in den Niederlanden ja noch kaum vorhanden - was können die Verlage also für die Autoren bieten?

Wir betreuen die Autoren natürlich auf allen möglichen Gebieten, wenn auch nicht immer alle und dauernd, das ginge bei ca. 80 Autoren auch gar nicht. Lesungen sind ja kein so großes Thema in den Niederlanden, aber wir beraten die Autoren zum Beispiel in strategischen Fragen und regeln ihre Vertragsangelegenheiten. Manchmal fragen auch große Firmen an wie etwa KLM und wollen Texte bei einem unserer Autoren in Auftrag geben, dann verhandeln wir das für ihn. Was wir auch machen, sind Film- und TV-Lizenzen - einige unserer Bücher wurden bereits verfilmt. Schön war etwa der Film Black Butterflies - die Biographie der südafrikanischen Dichterin Ingrid Jonker, die sich in den 60er Jahren im Alter von 31 Jahren umbrachte. Das war zwar keine direkte Literaturverfilmung, hatte aber großen Einfluss auf den Verkauf ihrer Gedichtbände.



Was würdest Du sagen, sind derzeit die größten Herausforderungen für eure Arbeit?

Der Markt ist kleiner geworden, daran müssen wir uns immer noch erst gewöhnen, gedanklich und auch praktisch. Da arbeitet man lange und intensiv an einem Buch, das ganze Team, es hat ein schönes Cover, die Arbeit macht Spaß, die Zusammenarbeit mit dem Autor ist prima, wir haben eine tolle Releaseparty, die Besprechungen sind super - und dann verkauft man nur 3000 oder gar 1000 Exemplare. Die Menschen lesen einfach weniger, selbst die älteren haben die ganze Zeit ihre Smartphones und Tablets in der Hand. Das geht mir ja selbst so. Und das ist schade. Es gibt so viele gute Bücher, aber so wenig Leute, die sie lesen. Man müsste einen Weg finden, den Leuten wieder zu vermitteln, was für eine erholsame Erfahrung es ist, dem eigenen Geist zu erlauben - nicht etwa ihn zu zwingen -, sich mit einem Buch aus dem dauernden Stakkato der Welt zurückzuziehen.

 

 


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