"Es geht um das Wunderbare" - Michael Weins und Katharina Gschwendtner im Interview

Von Peter Reichenbach und Hannah Zirkler


Am 21. März, rechtzeitig zum Indiebookday, erschien das Buch "Sie träumt von Pferden. Geschichten mit Tieren" mit wunderbar phantastischen Erzählungen von Michael Weins und liebevollen Illustrationen von Katharina Gschwendtner.

Das Buch ist eine gelungene Verbindung von Text und Bild, dem man die Liebe zu beidem sofort anmerkt. In einem Interview haben wir beiden ein paar Fragen rund um das Buch gestellt.

 

Bei der Release-Lesung hier bei uns im Laden hast du, Katharina, ein Foto von deiner ersten Begegnung mit Michael Weins gezeigt, da ist er als Döner verkleidet, während er vorliest. Habt ihr an diesem Abend beschlossen ein Buch zusammen zu machen, oder wie kam es zur Zusammenarbeit?

 

Katharina Gschwendtner: Tatsächlich! Die jungen Autoren traten mit Fladenbrot auf dem Kopf im Rahmen einer Ausstellung der Künstlergruppe "Fleisch" auf, deren Mitglied ich war. Insofern war konzeptionell alles auf einer Linie. Das war 1997! Tatsächlich hatten wir damals die Idee einer Zusammenarbeit. Die Idee wurde durch alle möglichen Aktionen abgelöst. Ich beendete mein Studium und begann anschließend, vor allem für Zeitungen und Magazine zu zeichnen. Mir macht das nach wie vor großen Spaß! Aber je länger ich in diesem schnelllebigen Bereich arbeitete, erwuchs der Wunsch nach langlebigen Veröffentlichungen. Ich bin Mitherausgeberin von Spring, einem Magazin für Zeichnung und Bilderzählung. Das ist auf jeden Fall eine Plattform, die ich als Ergänzung genieße. 2014 entstand eine Zusammenarbeit von Spring mit einigen Autoren, wobei Michael und ich uns einander wieder begegneten. Wir griffen die Idee sofort wieder auf und wussten, dass wir ein Buch zusammen machen wollten. mairisch fand die Idee auch überzeugend und so ging alles seinen Lauf.

 

Michael Weins: Ich fand Katharinas Sachen schon 1997 toll, so viel erinnere ich, trotz des Döners auf dem Kopf. Wir wollten dann im Jahr 2000 gemeinsam ein Buch machen, aber es hat aus dubiosen Gründen nicht geklappt. Im Sommer 2014 trafen wir uns wieder, und ich hatte diese Konzept-Kurzgeschichtensammlung in der Schublade, die wie die Faust aufs Auge zu passen schien.

Seid ihr mit dem fertigen Buch zufrieden? Ist es so geworden, wie ihr es euch gewünscht habt?

 

Katharina Gschwendtner: "Sie träumt von Pferden" ist mein erstes umfangreich illustriertes Buch. Und wie das mit Büchern so ist, sie sind schließlich emotional aufgeladene Dinge, so bin ich erst mal noch unverschämt stolz darauf. Das Buch besteht ja aus verschiedenen Anteilen. Die Texte haben mich sehr berührt und im selben Maße inspiriert. Das ist ein großes Glück und nicht selbstverständlich! Für die Zeichnungen blieben mir sechs Wochen, weil das Buch zum Messetermin gedruckt sein musste. Aus dieser kurzen Zeit wollte ich alles rausholen, was in meinen Möglichkeiten lag. Ich habe hochkonzentriert und um größte Präzision bemüht gearbeitet. Die Arbeit der Grafikerin Carolin Rauen trägt ebenso einen großen Anteil dazu bei, dass das Endprodukt eine runde schöne Sache geworden ist.

 

Michael Weins: Ich bin wirklich auch sehr zufrieden! Großen Dank für dieses schöne Objekt an alle Beteiligten, an Caro, Daniel und Peter. Und natürlich Katharina.

 

Könntet ihr euch vorstellen, noch weitere gemeinsame Projekte zu machen? Habt ihr etwas aus der gemeinsame Arbeit gelernt? Der Autor von der Künstlerin und umgekehrt?

 

Katharina Gschwendtner: Ich kann mir eine weitere Zusammenarbeit sehr gut vorstellen. Mich würde es reizen, einen einzigen Text noch reicher zu bebildern, vielleicht sogar in Form eines Comics. Für Erwachsene oder auch für Kinder. Ich habe auf jeden Fall Gefallen daran gefunden, Bücher zu machen! Und ich habe gelernt, dass ein strenges Gegenüber, wie ein Text, der mich als Mensch berührt und dem ich gerecht werden will, mich präziser werden lässt.

 

Michael Weins: Wir haben gerade kurz über die Idee eines illustrierten Romans nachgedacht, zwischen Bushaltestelle und Ampel stehend, aber dann ist die Ampel grün geworden. Die Zusammenarbeit ist sicher noch nicht ausgereizt. Beim nächsten Mal dann von Anfang an zusammen konzipiert, mit viel Zeit fürs gemeinsame Lernen und gegenseitige Einflussnehmen. Ich weiß jetzt immerhin, dass das älteste Lebewesen der Welt ein Schwamm ist. Behauptet zumindest Katharina.

 

Michael, das Konzept von "Sie träumt mit Pferden" ist ja, dass in jeder Erzählung ein Tier vorkommt. Heißt das, dass dich in letzter Zeit vor allem Tiere interessiert haben, oder wie entstand dieses Konzept?

 

Michael Weins: Eigentlich interessiere ich mich gar nicht so für Tiere. Aber ich interessiere mich schon lange für die Texte der Gebrüder Grimm, für diese brutalen, radikal klaren, tiefen, archetypischen Texte. Für ihre Märchen. Und ich wollte auch Texte mit diesem Charakter schreiben. Wenn man aber Märchen sagt, dann sagen viele Leute: Bäh, uncool, verzärtelt, für Kinder. Das wollte ich vermeiden. Deshalb Tiere. Denn die Märchen der Grimms sind ja oft Geschichten mit Tieren. Es geht um das Wunderbare, die wundersame Begegnung. Und ein Stilmittel sind die Tiere.

 

Eine andere Gemeinsamkeit der Erzählungen ist ja, dass es immer einen Punkt gibt, an dem man nicht mehr so genau weiß, ob das jetzt noch Wirklichkeit ist oder schon Traum und damit eigentlich beide Zustände hinterfragt. Ist es dieser Effekt, der dich am meisten fasziniert hat?

 

Michael Weins: Mich interessiert es grundsätzlich, wenn sich plötzlich irgendwo eine Lücke auftut, ein Loch, eine zweite Bedeutungsebene, am besten im Alltag. Wenn unklar wird, was wirklich ist und was nicht wirklich. Oder überwirklich. Das heißt, ich mag das, solange mir das Gefühl von Kontrolle nicht völlig abhanden kommt. Deshalb versuche ich, solche Effekte auch in den Texten zu gestalten.


Könntest du dir vorstellen, dass die ein oder andere Erzählung einen Roman ergeben könnte, oder sind sie für dich abgeschlossen und genau richtig so?

 

Michael Weins: Bei einer Geschichte im Buch handelt es sich tatsächlich um einen Romananfang. Um zwei Kapitel aus einem Roman, den ich nicht schreiben konnte. Den ich irgendwann in die Schublade gelegt habe, weil ich dachte, ich beherrsche die Geschichte nicht. Noch nicht? Der Rest ist so, wie er sein soll. Gerade die ganz kurzen.

 

Hast du eine Lieblingserzählung im Buch und wenn ja, welche und warum?

 

Michael Weins: Ich habe zwei Lieblingserzählungen. Schweine und die Rumpelstelze. Bei der Rumpelstelze war ich selbst überrascht von der Kaltschnäuzigkeit des Mädchens und vom vertrottelten Humor des Vogels, von ihrer sonderbaren Übereinkunft und Komplizenschaft. Da mag ich den Dialog vor dem Hintergrund des finsteren Themas, der wie fremd geschenkt zu mir kam. Die reden da, nicht ich.

Und bei den Schweinen rührt mich selbst als vaterlos aufgewachsenes Kind die Auseinandersetzung dieses Jungen mit seinem Vater und die seltsam luziden letzten Absätze, von denen ich auch ganz verschwurbelt sagen würde, das da plötzlich etwas in mir aus mir heraus geschrieben hat, und nicht mehr ursächlich mein bewusstes Ich. Wenn so etwas beim Schreiben passiert, wenn sich der Rausch einstellt und es sich von selbst schreibt: das mag ich.


Katharina, das Cover des Buches und einige andere Illustrationen im Buch erinnern stark an Scheerenschnitte. Kann man sagen, dass sie die grundlegende Inspiration für den Stil in „Sie träumt von Pferden“ sind?

 

Katharina Gschwendtner: Ich habe mich für einen Scherenschnitt als Cover-Illustration entschieden, weil diese Form der flächigen Gestaltung wesentlich plakativer ist und somit eine bessere Fernwirkung erzielt. Im Buch selbst finden sich kaum weitere Scherenschnitte, aber für die Unterkapitel fand ich diese Technik ebenso passend und konsequent. Die linearen Zeichnungen im Innenteil lassen durch Details und Struktur mehr Ausformulierung zu. Hier geht es nicht um schnelle Lesbarkeit, sondern um Tiefe und geistigen Raum. Die feineren Zeichnungen sind darauf angelegt, in ihnen zu verweilen. Die Wahl des Scherenschnitts hatte eine ganz pragmatische Motivation. Ich wollte, dass das Buch aus der Entfernung oder in der Verkleinerung schick aussieht und man es in die Hand nehmen möchte.


Bei den meisten Illustrationen erkennt man Figuren/Tiere wieder, die auch in der Geschichte vorgekommen sind, doch sie erzählen eigentlich noch eine weitere Geschichte, eine Geschichte, die aus dem Text hinausweist, war das deine Intention?

 

Katharina Gschwendtner: Es kann in der Illustration nie um pure Abbildung des Erzählten gehen. Ich bin keine Storyboard-Zeichnerin. In einigen Geschichten geschieht vordergründig weniger, die Akteure sind offene Fragen. Wie kann also ein intensiv durchlebter innerer Konflikt dargestellt werden? Eine Bildidee entsteht, wenn ich finde, sie trifft den Punkt. Ich kann einer Figur eine Vergangenheit zeichnen, die den Text nicht stört, aber Vertrautheit zwischen Leser und Figur schafft. Manchmal erfinde ich Lösungen für eine Figur, die sie noch nicht gefunden hat. Das funktioniert natürlich nur, weil auch der Leser ahnt, dass dies eine mögliche Fortführung ist, und dass sie gut ist. Die Beziehung von Text und Bild muss beiden Bewegungsraum geben. Das ist wie beim Paartanz, womit wir wieder beim Cover wären.

 

Hast du eine Lieblingserzählung im Buch und wenn ja, welche und warum?

 

Katharina Gschwendtner: Ich mag es, wie kraftvoll der Junge, der die Schweine hütet, sich seiner Verzweiflung hingibt. Er hadert, er erkennt, dass er in einer Welt lebt, in der man nicht ohne Schuld sein kann. Da gibt es keine Moral, keine Lösung. Und doch erlebt er pure Liebe. Für mich spiegelt diese Geschichte das Schicksal des Menschen erschütternd und doch tröstlich wider.


Vielen Dank für das Gespräch!

 



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