Was macht eigentlich ein Verlag? Teil 4: Korrektorat

Von Annegret Schenkel

Meine Arbeit als Korrektorin beginnt oft im Copyshop. Dort drucke ich das PDF-Dokument aus, das mir der Verlag geschickt hat, damit ich es korrigiere. Im Idealfall sollte zu diesem Zeitpunkt inhaltlich alles stimmen, damit nur noch formale Korrekturen nötig sind, sodass sich der Satz, der dann schon fertig ist (siehe Teil 3: Herstellung), nicht allzu sehr verschiebt.

 

Jeder Verlag hat eigene Vorgaben, was die Rechtschreibung betrifft. Manche wünschen sich die neue Rechtschreibung mit alter Zeichensetzung, andere wollen in jedem Fall die Dudenempfehlung, einige Verlage haben sogar Listen, auf denen sie die für sie gültige Rechtschreibung einiger Wörter festlegen. Manche richten sich nicht nach dem Duden, sondern dem Wahrig, einem Konkurrenzprodukt aus dem Hause Bertelsmann.

 

Habe ich geklärt, was genau sich der Verlag vorstellt, kümmere ich mich einerseits um formale Gesichtspunkte, andererseits aber doch noch einmal um den Inhalt. Auch da weichen die Verlagsvorgaben stark voneinander ab. Manche halten nichts von inhaltlichen Eingriffen in den Text, bei anderen ist Mitdenken erwünscht.

Das macht doch mein Computer von allein!

 

Wichtig ist die Einheitlichkeit, deren Prüfung ein Computer eben nicht leisten kann (denn letzten Endes ist auch ein Buch nichts anderes als ein Produkt, das verkauft wird, für das Menschen Geld ausgeben und von dem sie zu Recht erwarten, dass es sozusagen fehlerlos „funktioniert“).

Für alles gibt es Regeln

Ich mache mir also Gedanken darüber, ob ich z. B. beim Infinitiv mit zu generell ein Komma setzen möchte oder nicht oder ob es davon abhängt, wie lang die sich anschließende Satzkonstruktion ist.

Ein häufig auftretendes Rätsel ist die Schreibweise von Zahlen. Die Regel besagt, dass man alle Zahlen bis einschließlich zwölf ausschreibt, größere Zahlen hingegen nicht. Aber was, wenn in einem Satz sowohl Zahlen vorkommen, die kleiner als zwölf sind, als auch solche, die größer sind? Denkt der Leser nicht, es handelt sich um einen Fehler oder zumindest eine Ungenauigkeit, wenn er so etwas liest: „Priscilla-Paris war zwölf, als sie Korbinian kennenlernte, der bereits 15 war.“? Heißt es dann im weiteren Verlauf: „Die 12-jährige (oder die zwölfjährige) Priscilla-Paris wurde sofort schwanger.“? Und sind die Eltern des „schwer erziehbaren“ oder des „schwererziehbaren“ Korbinian entsetzt? Wird Priscilla-Paris nach wenigen Wochen unweigerlich zur „allein erziehenden“ oder zur „alleinerziehenden“ Mutter?

Und werden dem Leser die Unterschiede überhaupt auffallen oder merkt er nur, wenn Priscilla-Paris plötzlich für zwei Seiten Priscilla-Patricia heißt?

 

So kann eine Seite nach dem Korrektorat schon mal aussehen...
So kann eine Seite nach dem Korrektorat schon mal aussehen...

 

Roter Stift, Bleistift, Zettelkasten, langer Atem

Viele dieser Dinge werden mir natürlich erst während des Lesens klar, da ich ja am Anfang eines Textes noch nicht weiß, welche Probleme überhaupt auftreten werden. Deshalb muss ich mir ab der ersten Seite alles notieren, was strittig sein könnte, und strittig kann erst mal so gut wie alles sein! Denn auch wenn die Arbeit oft im Copyshop beginnt, manchmal beginnt sie am Briefkasten. Nicht alle Verlage schicken mir ein PDF-Dokument, von manchen bekomme ich die ausgedruckte Version, sodass ich genau aufpassen und mitschreiben muss, da ich nachträglich nicht am Bildschirm nachprüfen kann. Auf meinem Zettel landet also so etwas:

S. 17, 48: infrage

S. 24, 29, 47, 178, 312 x 2, 345: in Frage

 

Hier bietet es sich an, nach ökonomischen Gesichtspunkten zu vereinheitlichen, was in diesem Fall nicht der Dudenempfehlung entspräche. Es folgt ein kurzes Nachdenken: Welche Regel wünscht sich der Verlag gleich noch mal? … Ach ja, er will die Dudenempfehlung, diese schlägt hier also die Ökonomie, denn die Empfehlung lautet: infrage.


Ist das ein Fehler oder soll das so sein?

Wichtig an der Arbeit eines guten Korrektors ist aber auch der neue, unverstellte Blick auf den Text, den er einbringt. Autor und Lektor haben oft schon unzählige Stunden mit dem Text verbracht, sodass ihnen bestimmte Dinge, die evtl. unlogisch sind oder nicht stimmen, nicht mehr auffallen. In dieser Hinsicht ist ein Buch durchaus mit einer Abschlussarbeit für Schule oder Uni vergleichbar.

 

Ich gebe mich also nicht damit zufrieden, die Rechtschreibung und Kommasetzung zu korrigieren und bestimmte Formulierungen zu vereinheitlichen, sondern achte auch auf den Inhalt. Auf S. 365 muss ich noch wissen, welches Kleid eine unwichtige Nebenfigur auf S. 12 getragen hat (auch da kommt wieder mein Zettel ins Spiel). Ist es immer noch rot? Hat sie sich inzwischen umgezogen, da es plötzlich blau ist? Oder ist das ganz einfach ein Fehler?

 

Auch etwas durchzurechnen schadet nicht, dann findet man mitunter so etwas: „Einmal 52 000 Dollar, einmal 30, einmal 75 und einmal 179, insgesamt also 354 000 Dollar ...“ Die vier Summen ergeben aber zusammen nur 336 000 Dollar (30 steht dabei für 30 000 usw.), es muss also etwas daran geändert werden. Aber was? Auch hier brauche ich wieder meinen Zettel, denn es kann ja sein, dass die Berechnung später noch einmal auftaucht oder auf ihrer Grundlage weitergerechnet wird. Welche Zahlen geändert werden müssen, kann ich also erst später in Absprache mit dem Lektor entscheiden. Mein Zettel bekommt also folgende Notiz:

S. 130: Berechnung checken

 

Kommen in einem Buch historische Ereignisse vor, überprüfe ich immer, ob es sich auch wirklich so zugetragen hat. Der am 17. Juni 1843 an den Folgen der Verletzungen, die er sich bei einer Auseinandersetzung mit Maori zugezogen hatte, verstorbene Gründer der Stadt Nelson in Neuseeland, Arthur Wakefield, kann nicht am 18. Juni 1843 gedankenverloren in der Glut seines Lagerfeuers stochern.

Spielt eine Geschichte in Australien, wird zwar ebenfalls im Dezember Weihnachten gefeiert, man trägt dabei aber keinen Mantel, sondern ein T-Shirt.

Die Anschläge auf Schneewittchen wurden nicht von ihrer Schwiegermutter, sondern von ihrer Stiefmutter verübt.

Wird ein einstöckiges Haus beschrieben, in dem die Protagonisten wenig später den Aufzug besteigen, um in den Keller zu fahren, sollte ich das zumindest für auffällig halten. Ich frage mich dann: Bezeichnet man ein Haus mit einer ebenerdigen Etage und Keller überhaupt als einstöckig? Ist es realistisch, dass ein solches Haus einen Aufzug hat?

 

Alle inhaltlichen Änderungen, die ich vornehme, schreibe ich als Vorschläge an den Rand, da ich damit rechnen muss, dass sich Autor und Lektor etwas dabei gedacht haben, wenn sie etwas vermeintlich Falsches stehen lassen haben. Z. B. könnte es sich beim gerade erwähnten Aufzug um einen Lastenaufzug handeln, oder das Ganze spielt sich in einem behindertengerecht ausgestatteten Haus ab. Wichtig ist, dass alles stimmig und nachvollziehbar bleibt.

 

„Der Blick“ und andere Hilfsmittel

Neben all dieser inhaltlichen Arbeit muss ich aber auch sehen, ob Leerzeichen fehlen oder zu viel sind, ob richtig zwischen Gedanken- und Bindestrichen unterschieden wird und ob durchgängig eine Anführungszeichenart (von vielen) benutzt wird.

 

Gern und oft blättere ich in meinen Lieblingsbüchern, „Richtiges und gutes Deutsch“ (Duden Band 9) und „Komma, Punkt und alle anderen Satzzeichen“, wenn ich einmal nicht weiterweiß. Manchmal hilft aber nur noch die Duden-Sprachberatung, die eine Hotline unterhält, die für € 1,86 pro Minute knifflige Fragen klärt.

 

Nicht immer gefallen mir die Texte, die ich als freie Korrektorin zu lesen bekomme. Wenn der hundertste Vampir-Roman oder die dreißigste Science-Fiction-Geschichte auf meinem Schreibtisch landet, rolle ich nicht nur innerlich mit den Augen.

Aber ich lese einfach so gern, dass mir nach ein wenig Geseufze und Geheule sogar die Beschäftigung mit den darin auftauchenden Wesen Spaß macht.

 

 

Annegret Schenkel hat von mairisch-Büchern bis zu Dan Brown, Ken Follett und sogar einem Pulitzer-Preisträger schon so ziemlich alles aufs Genauste überprüft und dabei immer wieder erstaunliche Dinge gefunden.
www.korrektorat-schenkel.de

 

Weiterlesen:
Teil 1 - Manuskripte und Lektorat
Teil 2 - Grafik-Design und Buchgestaltung

Teil 3 - Herstellung

Teil 5 - Pressearbeit

Teil 6 - Lesungen

Teil 7 - Finanzen

 


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