Was macht eigentlich ein Verlag? Teil 2: Grafikdesign und Buchgestaltung

Von Carolin Rauen

 

Von der Idee zum Konzept

Grafik-Design, Kommunikationsdesign, Visuelle Kommunikation – es gibt viele Begriffe für das, was ein Gestalter so macht. Dabei beschreibt Grafik nur die Technik, mit der wir es zu tun haben, Visuelle Kommunikation dagegen ist die eigentliche Aufgabe und das heißt, einen Inhalt so darzustellen, dass er beim Betrachter richtig ankommt, also kommuniziert.

 

Das klingt erstmal einleuchtend, doch im Alltag muss ich mich dafür geradezu rechtfertigen. Kommentare wie "mach das mal hübsch", "wir wollen einfach mal etwas ganz anderes", "mir gefällt Blau aber besser als Grün" oder "das ist doch eh alles Geschmacksache" gehören zum Alltag einer Gestalterin. Dabei hat jedes Projekt andere Anforderungen und die sollte man sich ganz genau anschauen, bevor es losgeht mit den Farben und Formen …

 

Also erstmal zurück zum Anfang: Um ein Projekt zu starten, muss ich mich mit dem Inhalt vertraut machen, den ich visuell kommunizieren möchte, und dafür sind zu allererst Gespräche mit dem Verlag nötig, und zwar wirkliche Gespräche, nicht nur anonyme Briefings auf einem A4-Ausdruck, sondern ein gegenseitiges Kennenlernen, damit man die Ziele, die Entstehung der Idee und den Umgang damit nachvollziehen kann. Die Auseinandersetzung passiert dabei zum einen auf der sachlichen Ebene: Was soll kommuniziert werden? Wer ist der Absender, wer der Empfänger? Genauso wichtig sind jedoch die Emotionen: Wie fühlt es sich an? Ist es laut oder leise, warm oder kalt? An welche Bilder muss ich spontan denken? Welche Farben und Formen, vielleicht sogar Schriften assoziiere ich mit dem Inhalt? Ein Projekt zu beginnen ist wie eine Person kennenzulernen – das geht oberflächlich, aber spannend sind doch die Details, die man später ausgräbt …

 

Diesen Input lasse ich dann möglichst über mehrere Tage im Kopf kreisen, arbeite an anderen Dingen, schaue mir Bilder an, lese mir Hintergrundwissen an oder bewege mich auf der Straße und bekomme häufig an ganz unverhoffter Stelle eine Idee. Wenn sie sich ein wenig gesetzt hat und ich sie immer noch gut finde, schaue ich sie mir noch genauer an und analysiere, warum und was daran zentral ist und wie die einzelnen Elemente genau aussehen müssen: Schriften, Farben, Formen und deren Komposition. Dabei ist auch wichtig, in welchem Kontext die Gestaltung zum Einsatz kommen soll: Was sind zum Beispiel in einem Corporate Design die Konstanten, wo kann variiert werden, ohne die Prägnanz und Wiedererkennbarkeit zu verlieren? Welche Farben fallen bei einem Buchcover im Regal einer Buchhandlung besonders ins Auge? Ist der Titelschriftzug auch aus einiger Entfernung lesbar? Gibt es vergleichbare Projekte, mit denen man nicht verwechselt werden möchte, ist die Gestaltung also eigenständig genug? Und ganz praktisch: Wie und wo wollen wir das Buch produzieren, wie müssen die Dateien aufbereitet werden, wie ist der Umfang und wie breit dementsprechend der Buchrücken? Steht das Logo an der gleichen Stelle wie beim letzten Mal? Machen wir dieses Mal alles anders?

 

Das Schöne am Gestalten ist: Es gibt kein richtig und falsch. Auch wenn alle auf die gleiche Art arbeiten würden, gäbe es unendlich viele Umsetzungen, die sich in ihrer Ausstrahlung höchstens ähneln. Doch jeder Gestalter hat einen Stil, eine Handschrift, die sich aus Charakter, Geschmack, Talent und Erfahrung zusammensetzt. Die Übertragung eines Inhalts in ein Bild ist immer ein Transfer und damit eine Interpretation, die die eigene Sicht des Gestalters einschließt und niemals völlig neutral ist.

 

Je nach Projekt ist diese Freiheit der persönlichen Interpretation mal größer und mal kleiner. Gerade der Entwurf eines Buchcovers ist zum Glück häufig sehr offen: Da die Handlung eines Romans schlecht in ein Bild gepresst werden kann, geht es auch hier eher um die Verbildlichung einer Atmosphäre, eines Gefühls. Dabei ist wichtig, sich immer wieder in den Käufer oder Betrachter hineinzuversetzen und zu überprüfen, ob die Gestaltung tatsächlich das Buch widerspiegelt. Der Autor bleibt in diesem Moment im Hintergrund – denn er hat durch seine Texte schon maximalen Input gegeben.

 

Vom Konzept zum Objekt

Wie man sieht, dürfen wir Gestaltung jedoch nicht isoliert betrachten, sondern müssen Orte und Zeitgeschehen in den Entwurf einbeziehen. Dazu zählt auch die Beachtung von Trends: entweder um auf einer Welle mitzuschwimmen oder – meist sinnvoller – sich davon abzugrenzen.

 

Betrachten wir dazu erst einmal Buchcover: Gab es vor einigen Jahren fast ausschließlich großformatige Fotografien (dabei gern offene und leicht melancholische Motive wie das Meer, leere Stühle oder kreisende Vögel) mit einem dezenten Schrifzug im ruhigen Teil des Bildes, können wir in der Buchgestaltung heute verschiedene Entwicklungen beobachten:

 

1. Typografisch inszenierte Schriftzüge zum Beispiel, die häufig durch starke Kontraste ins Auge fallen und den Titel gleich zum Motiv machen, also Bild- und Textebene nicht mehr trennen, sondern zusammenfügen. Dabei können Schriftgrößen variieren, Handschriften sind nicht selten gesehen, und in der Anordnung kann durch Anschnitte auch über die Fläche hinausgearbeitet werden. Eines der bekanntesten Beispiele ist hier sicher Extrem laut und unglaublich nah von Jonathan Safran Foer, das Bestsellerlisten anführte und damit auch neue Möglichkeiten für die Gestaltung etablierte.

 

2. Nicht nur mit der Schrift wird gespielt, auch die Bildebene ist in Bewegung geraten: fotografische Collagen und alle Arten von Illustrationen lösen die reine Fotografie ab. Das ist nicht zuletzt dem Mut kleiner Verlage zu verdanken, die häufig jungen Gestaltern und Zeichnern die Chance bieten, ihre Sicht auf eine Geschichte mit ihren Mitteln auszudrücken und nicht Marketingtests die Entscheidung treffen lassen. Voland & Quist sind hier seit Jahren ein gutes Beispiel, aber auch die von Künstler Neo Rauch gestalteten Cover der Frankfurter Verlagsanstalt (FVA) haben für Furore gesorgt.


3. Back to the Basics: Konservativ oder konsequent? Suhrkamp, Reclam, Penguin oder Verbrecher Verlag – schon wenn man diese Verlagsnamen hört, hat man ihre Layouts vor Augen: Schlicht, rein typografisch, feste Anordnung. Ein Redesign vollzieht sich höchstens subtil, wie vor kurzem bei Reclam durch den Wechsel zum rechtsbündigen Satz der Titel oder bei den Verbrechern, die jetzt auch Illustrationen ergänzen. Die Reihe und der Verlag stehen bei dieser Art der Gestaltung stärker im Vordergrund als der einzelne Titel. Es handelt sich somit um einen klassischen Markenaufbau – der in den genannten Beispielen auch für andere Branchen Vorbildcharakter genießt.


4. Buchkunst: Warum soll ich denn noch ein Buch kaufen, wenn ich es auch als E-Book viel leichter bei mir tragen kann? – Weil es ein so schönes Objekt ist, das ich gern anfasse und stolz ins Regal stelle! Denn was gibt es schöneres, als sich beim Blick ins Regal noch einmal an die Geschichten zu erinnern, die sich zwischen den Buchdeckeln befinden. Wie wunderbar, wenn noch etwas Sand herausrieselt, mitgebracht aus dem letzten Urlaub, oder sich ein Kaffeefleck auf dem Titel verewigt hat. – So erzählt das Buch gleich mehrere Geschichten, die sich unvergesslich machen.
Dass auch die Stiftung Buchkunst ähnlich denkt, beweist die Auszeichnung von Judith Schalanskys Der Hals der Giraffe als schönstes deutsches Buch 2012: "Bei diesem Buch passt einfach alles zusammen: das mutig ausgewählte, sehr rauhe Bibliotheksleinen, die grobe, fast ruppig wirkende Schrift für die Deckenprägung und der historisch wirkende Druck der Illustrationen." (Jurymeinung Stiftung Buchkunst)


Ein Buch ist ein Objekt, es gibt einen Anfang und ein Ende, dazwischen verstreicht Zeit und dazwischen verändern uns die Texte, die wir lesen. Und so sollten alle Elemente in die Gestaltung eingebunden werden: Vom lauten, verkaufenden Titel über das Gewicht und die Anzahl der Seiten, das Format des Buches, das Verhältnis der Seiten zueinander, die Haptik des Materials, das Volumen des Papiers, die Papierfarbe, der Grad der Rauhheit oder Glätte der Oberfläche, der Weißraum um den Text herum, die Größe der Schrift, ihr Zeilenabstand, ihre Lesbarkeit, die Farben im Innenteil, evtl. Schmuckelemente, kleine Gimmicks, die Kapiteltitel, die Position und Größe der Seitenzahlen, ein Lesebändchen, zwei Lesebändchen, ein Papierwechsel?, das Vorsatz- und Nachsatzpapier, der Einstieg ins Buch und die letzte Seite …


Von der Theorie zur Praxis


All das hier vielleicht einmal an einem konkreten Beispiel: "Schlaraffenland – Ein Buch über die tröstliche Wirkung von warmem Milchreis, die Kunst, ein Linsengericht zu kochen, und die Unwägbarkeiten der Liebe" von Stevan Paul, Hardcover in Feinleinen, 192 Seiten. Soweit die Fakten.


Wie der Untertitel schon andeutet, finden sich in diesem Buch 15 amüsante Kurzgeschichten rund ums Kochen und dazu jeweils ein Rezept. Das heißt für die Gestaltung: Eine Mischung aus Belletristik und Sachbuch, zwei Erzählebenen, die unterschieden werden möchten, denn entweder lese ich gemütlich auf dem Sofa oder hantiere hektisch in der Küche. Außerdem ist das Konzept so schön und gemeinsames Kochen gesellig, also ein prima Geschenk für gute Freunde. Dafür sollte es natürlich ein besonders schickes Objekt und der Genuss bis in die Details spürbar sein!

Begegnet man dem Buch in einer Buchhandlung, leuchten die drei Pantone-Farben auf dem Umschlag kräftig, Titel und Motiv ergänzen sich, getragen vom Resopal-Untergrund, der den Betrachter gedanklich gleich in die Küche versetzt. Durch die Prägung des Titelschriftzugs im Feinleinen lädt das Buch auch haptisch zum Entdecken ein. Schlägt man es auf, überrascht das strahlend blaue Vorsatzpapier. Beim Blättern wird schnell klar: Die Geschichten sind klassisch gesetzt, schwarze Serifenschrift (übrigens thematisch passend die Schriftart Vollkorn) auf gebrochen weißem Naturpapier mit großzügigem Weißraum – optimale Lesbarkeit. Die Kapiteleinleitungen greifen den Resopaluntergrund des Titels auf, ebenso die fette, prägnante Schrift. Am Ende der Geschichte leuchten weiße und rote Worte aus der dunkelblauen Fläche heraus – so sind die Rezepte sofort zu finden. Ein blaues Lesebändchen, passend zum Vorsatzpapier und Titel, hilft außerdem, die Seite nicht zu verlieren, ob beim Lesen oder Zubereiten. Der Druck mit drei Farben im Innenteil erlaubt uns Spielereien wie rote Seitenzahlen und Überschriften – so werden die zur Verfügung stehenden Produktionsmittel maximal genutzt, die Investition soll sich ja lohnen. Funktionalität und Spielerei formen dieses Buch, das mehr ist als nur Buchstaben auf Papier.


Ich könnte noch ewig mit diesen Erklärungen weitermachen und vom Groben bis ins kleinste Detail (wie etwa dem richtigen Abstand vor einem Doppelpunkt) ausholen, denn all das macht das Buch erst zu dem, was es am Ende als Gesamtes ist. Doch plötzlich muss auch schon die Vorschau in den Druck oder das gesamte Buch, dabei hätten wir doch noch so gern … Eine Deadline gibt es immer, doch dann wartet meist schon das nächste Projekt und es geht weiter, ein Kennenlernen mit dem nächsten Buch, der nächsten Person, das Aufnehmen, sacken und kreisen lassen, ausprobieren, verwerfen und sicher sein beginnt von Neuem. Ich freue mich schon!

 

Carolin Rauen hat Visuelle Kommunikation an der ArtEZ hogeschool voor de kunsten in Enschede (NL) und an der EASD in Valencia (E) sowie Editorial Design an der Burg Giebichenstein (Halle/Saale) studiert. Derzeit arbeitet sie als Senior Designerin bei Paperlux in Hamburg. Seit 2007 gestaltet sie die meisten mairisch-Veröffentlichungen.

www.carolinrauen.com

 


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